Glaube, Liebe, Hamburg: Marzipantorte statt Großstadttrubel

Ostern ist das Versprechen von Unkompliziertheit: Hier tausche ich Hektik gegen Wellenrauschen, Feiern gegen Lesen, Quinoasalat gegen Marzipantorte. Von Zeit zu Zeit brauche ich als Großstadtkind ein paar Tage Landleben – auch wenn das manchmal uncool klingt.

Vier freie Tage, in denen ohne große Diskussionen die Familie zusammenkommt und sonnige Spaziergänge unternimmt. Der Beginn der helleren Jahreszeit, der Aufbruch und dennoch ein kurzes Innehalten, bevor das Jahr weitergehen darf. Meine Familie fährt jedes Jahr über die Feiertage an die Ostsee. Wer will, macht einen Spaziergang auf dem Deich zum nächsten Kurort. Da gibt es ganz unironisch Eierlikör. Der Rest der Zeit ist gefüllt mit Ausschlafen, gemeinsamem Kochen, Räucherfisch essen, Saunabesuchen und Geschwister ärgern.

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Hier geht es nicht darum, auf der Gästeliste des neuen Clubs um die Ecke zu stehen (erschöpft von der Meeresluft ist der Tag meist sowieso weit vor Mitternacht zuende), die hippsten Galerieeröffnungen mitzunehmen oder endlich mal den Paleo-Brunch-Place auszutesten. Der Place to be ist wenn überhaupt die verrauchte Kneipe „Zum Störtebeker“, wer Kunst will, der guckt sich die Strand-Aquarelle im Kurmittelhaus an und zum Frühstück werden beim Dorfbäcker Brötchen namens „Kieler“ geholt und Papa hat frischen Kaffee gemacht. Hier gibt es auch keine bösen Facebook-Kommentare und der Twitterfeed ist völlig irrelevant.

Es ist okay, das uncool und langweilig zu finden. Dafür ist es da. Meine Freunde kennen das auch: Was haben wir früher mit unseren Eltern darum gekämpft, nicht mitfahren zu müssen, sondern zuhause bleiben und zum Osterfeuer mit Freunden und Oldesloer Kirsch gehen zu dürfen. Wie sehr hatten wir Angst, etwas zu verpassen – die FOMO der Nullerjahre. Es könnte ja sein, dass auf der Party von XY irgendetwas passiert, über das später die ganze Schule spricht – und außerdem ist Z aus der Parallelklasse da.

Heutzutage freuen wir uns, mit dem ganzen angestrengten Wirrwarr aus Zwischenmenschlichem und urbanem Getöse für ein paar Tage nichts zu tun zu haben.

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Und wie dankbar sind wir jetzt für ein paar Tage unangestrengte Gemütlichkeit. Heutzutage freuen wir uns, mit dem ganzen angestrengten Wirrwarr aus Zwischenmenschlichem, urbanem Getöse und unerreichbaren Erwartungen an die eigene unsichere Zukunft für ein paar Tage nichts zu tun zu haben. Während wir mit jedem Jahr mehr das Gefühl haben, dass unser Leben komplizierter und irgendwie unerwachsener wird, sind die vier Tage an Ostern ein Anker.

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Hier ist es nicht wichtig, welche Dramen sich in WhatsApp-Gruppen abspielen, wie sehr die Abgabe der Bachelorarbeit drängt und wie der Status mit dem aktuellen Herzmenschen ist, der nicht zurückschreibt: Gespräche mit der Familie rücken die meisten Aufreger des Alltags sowieso schnell wieder in die richtige Perspektive. Sich den Tag über den Wind um die Nase wehen lassen, Salzluft einatmen, Muster in den Sand malen, vor den Wellen davon laufen, bei einem Eiskaffee die zaghafte Frühlingssonne anbeten und abends völlig erschöpft ins Kissen sinken. Nichts erdet mehr.

Und nach vier Tagen reicht es dann auch wieder. Denn ich gehe gern brunchen, in Kunstausstellungen und auf Partys. Ich bin in der Großstadt aufgewachsen und möchte ihre Vorzüge nicht missen. Aber ein bisschen Landleben, ein bisschen Familie und ein bisschen Frühlingsanfang – das ist manchmal einfach notwendig. Von der Lübecker Marzipantorte gar nicht zu sprechen.


Fotos: © Lina Hansen
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