Glaube, Liebe, Hamburg: Ich bin eine Frau und ich will dein beschissenes, geheucheltes Mitleid nicht

Ey, danke. Männer überall, ich möchte euch danken. Nicht nur Männer, nein, Politiker, Politikerinnen, Menschen mit Macht: Mensch, danke. Danke. Eure Botschaften der Unterstützung, des geweckten Beschützerinstinktes, der Wut und Entrüstung: Sie haben mich erreicht. Im Fernsehen und bei Facebook, im Print und online, ich kann ihnen gar nicht mehr entkommen, euren lieben, besorgten Worten.

"Wir müssen unsere Frauen beschützen!" schreibt jemand in Großbuchstaben und ich fühle mich endlich, endlich wieder sicher. Zum ersten Mal, seit an Silvester das mir bis dato völlig unbekannte Phänomen der sexuellen Belästigung in mein Leben trat und mein kleines Mädchenherz erschütterte, fühle ich mich wieder sicher. Deswegen: Einfach nur danke.

Wir müssen unsere Frauen beschützen!

Aber wirklich: Ist das das Szenario, das ihr euch ausmalt? Wenn ihr euch darüber echauffiert, dass "diese Flüchtlinge" doch "unsere Frauen" ganz schlimm behandeln würden, denn "bei denen ist das einfach anders"? Glaubt ihr wirklich, dass es so einfach ist? Dass sexuelle Gewalt ein importiertes Problem ist, vor dem nur gute deutsche Männer ihre guten deutschen Frauen schützen können? Stimmt, Frauen sollte man immer als wehrlose Objekte betrachten, die einen tapferen Ritter brauchen, der sie vor den dunklen Bösewichten (pun somewhat intended) da draußen beschützt. Wir können das nämlich nicht selbst. Ach, Moment. Ironie können ja manche Menschen da draußen nicht. Hier also eine ernst gemeinte Erklärung. Ihr scheint sie nämlich zu brauchen.

Euer öffentlich demonstrierter Beschützerinstinkt mag vielleicht sogar nett gemeint sein. In manchen Fällen. Trotzdem widert er mich an. Wenn ich lese, ich müsse beschützt werden vor " denen", dann möchte ich manchmal ganz gerne das Geschlecht wechseln, so wenig möchte ich damit zu tun haben. Ich möchte nichts zu tun haben mit eurem als Hilfsbereitschaft und Sorge verkleideten Fremdenhass und eurer offensichtlichen Engstirnigkeit. Denn genau das ist es, was eure wütenden Facebook-Postings, eure flammenden Artikel und die bescheuerten Äußerungen und Armlängen-Empfehlungen ausdrücken: Dass ihr unfähig seid, das wahre Problem zu erkennen und keinen Funken Empathie zu besitzen scheint. Außerdem habt ihr wahrscheinlich von dieser kleinen, netten Sache namens "Geschlechtergleichheit" höchstens mal in der Theorie gehört.

Nun, let me br-br-break it down for you:

Silvester in Köln und Hamburg war eine schreckliche, sehr stark kondensierte und potenzierte Version eines allgegenwärtigen Problems. Dieses Problem nennt sich "sexuelle Belästigung und Gewalt" und es begegnet sowohl Frauen als auch Männern (davon, wie oft es Trans- oder anderen queeren Menschen begegnet, müsste ich ihn einem ganz anderen Artikel schreiben). Sexuelle Gewalt ist schlecht. Sexualität sollte immer auf Konsens und Gegenseitigkeit beruhen und deshalb ist es absolut ekelerregend, jemanden gegen dessen Willen zu berühren und zu belästigen. Sexuelle Gewalt ist aber nichts, das von einer speziellen Bevölkerungsgruppe oder seit einem bestimmten Zeitpunkt ausgeübt wird. Ja, Überraschung: Sexuelle Gewalt gab es schon vor Silvester und es gibt sie seitdem immer noch. Und nur, weil die Täter von Silvester ein bestimmtes Stereotyp bedienen und reinforcieren, müssen "unsere" Frauen plötzlich beschützt werden? Nein. Diese Denkweise ist dermaßen beschränkt, rassistisch und sexistisch, dass es mir regelrecht den Magen umdreht.

Ich bin ganz bestimmt nicht "eure" Frau. Ich bin meine eigene Frau.

Zuallererst: Ich kann nicht für jede von uns sprechen, aber ich bin ganz bestimmt nicht "eure" Frau. Ich bin meine eigene Frau. Auch wüsste ich gerne, wer diese Frauen sind, von denen ihr sprecht. Brauchen sie die deutsche Staatsbürgerschaft? Müssen sie weiß sein? In Deutschland geboren? Ich kann mir leider nur allzu gut vorstellen, dass die flammenden Befürworter des Frauenschutzes ihre Meinung recht schnell ändern, wenn besagte Frauen, sagen wir, Kopftuch tragen oder eben nicht in das Idealbild der biodeutschen, schutzbedürftigen Dame passen, das "Schützt unsere Frauen!"-Schreier leider häufig zu pflegen scheinen. Das ekelt mich an, weil es so gottverdammt scheinheilig bigott ist, dass ich brechen möchte.

Und selbst wenn ich mich unsicher fühlen sollte, bestimme ich verdammt nochmal selbst, von wem ich "Schutz" brauche und möchte.

Und selbst wenn ich mich unsicher fühlen sollte, bestimme ich verdammt nochmal selbst, von wem ich "Schutz" brauche und möchte. Frauen als diese schutzbedürftigen, unmündigen Kindchenfiguren zu sehen, die einen zwangsläufig männlichen Beschützer brauchen, ob sie es nun wollen oder nicht, schlägt in puncto Denkrichtung in dieselbe Kerbe wie das unerlaubte Berühren einer Person. "Die wird das schon wollen/brauchen" zu denken, aber nicht nachzufragen, ist patriarchale, sexistische, bevormundende Kackscheiße, außerdem mal wieder #rapeculture in Essenz und ich bin es so leid.

Eure ekelhafte Verknüpfung einer zweifelhaften, latent rassistischen Polit-Agenda mit diesem scheinheiligen Beschützergetue nimmt ein ernsthaftes Problem und rückt es ins absolut falsche Licht. Sexuelle Gewalt ist das Problem, aber was ihr tut, ist keine Lösung. Es schafft ein ganz anderes, eigenes Problem, das den Dialog über sexuelle Gewalt in eine absolut falsche Richtung lenkt, was absurd ist, denn das ist doch das eigentliche Problem. Vor allem ist es ein Problem, das man nicht durch Präventionsmaßnahmen wie Beschützer oder Pfefferspray in der Tasche lösen kann. Und schon gar nicht durch die berüchtigte Armlänge. Menschen, die das behaupten, haben das Problem entweder gar nicht oder zu gut verstanden.

Weil nicht die Herkunft von Menschen das Problem ist, sondern eine lange gepflegte Tradition des Sexismus und der Objektifizierung.

Also bitte, bitte nehmt euch dies zu Herzen: Hört auf, euch künstlich über etwas zu echauffieren, was euch bisher egal war und Ursachen zu suchen, die schlichtweg unbedacht und teilweise auch einfach falsch sind. "Alle abschieben" ist keine Lösung, weil nicht die Herkunft von Menschen das Problem ist, sondern eine lange gepflegte Tradition des Sexismus und der Objektifizierung. Und diese Tradition ist das eigentlich Schlimme, das es zu durchbrechen gilt. Diese Tradition gibt es nicht nur in muslimisch geprägten Kulturkreisen, sondern hier, in Deutschland, in Hamburg, in jedem verdammten Club, an jeder verdammten Straßenecke, Bushaltestelle, wobei wir noch nicht von Belästigungen im Internet sprechen. Niemand hat das Recht, zu behaupten, Deutschland sei vor Silvester ein Land ohne sexuelle Gewalt gewesen. Das ist schlicht nicht richtig.

Deshalb bitte, denkt mal darüber nach, bevor ihr schreit, ihr müsstet "eure" Frauen schützen. Ich kann euch nämlich das sagen: Wenn weniger Menschen glauben würden, wir Frauen hätten Schutz nötig und könnten uns nicht selbst verteidigen oder für uns selbst entscheiden, vielleicht müssten wir dann auch weniger darüber nachdenken, ob wir diesen Schutz eigentlich brauchen. Hört auf, uns beschützen zu wollen, und fangt lieber an, eine Kultur der Sicherheit und des gegenseitigen Respekts zu leben. Das fängt dabei an, uns nicht einfach im Club die Hand auf den Arsch zu legen, geht weiter dabei, mal zu fragen, was wir eigentlich wollen und führt dazu, dass man sich irgendwann nicht mehr gegenseitig beschuldigen, sondern respektieren kann. Ohne rassistische Ressentiments und unnötige Ritterkomplexe. Sexuelle Gewalt geht alle an, nicht nur eine bequem zu beschuldigende Minderheit. Statt Beschützen vielleicht mal Weiterdenken: Woher kommt das Bedürfnis, "Schutz" zu bieten und wie können wir es überflüssig machen? Das wäre produktiv. Das wäre richtig. Auch im Hinblick auf das Vorleben einer tatsächlich gleichgestellten Kultur, die Deutschland doch angeblich hat. Aber so lange ihr nichts anderes tut, als sexistische Klischees zu reinforcieren und überholte Denkweisen zu predigen, so lange euch das eigentliche Problem egal ist und ihr die Sicherheit von Frauen nur als Maske für Hass und Hetze benutzt: Nein, danke. Ich will euer geheucheltes Mitleid nicht. Ich will eure beschissene Bigotterie nicht eine Minute länger mit ansehen müssen. Ich brauche euren scheinheiligen Schutz nicht, ich brauche Nachdenken und Umdenken. Bitte, fangt damit an.

Hört auf, uns beschützen zu wollen, und fangt lieber an, eine Kultur der Sicherheit und des gegenseitigen Respekts zu leben.


Bild: Maria Kotylevskaja

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