Glaube, Liebe, Hamburg: Hamburger Berg

Der Beat pulsiert. Treibt ein Zucken durch meinen Körper. Ich schließe die Augen und lasse mich tragen vom wummernden Bass. Meine Gedanken bündeln sich – wie im Märchen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten... haben Sendepause. Alles scheint möglich.

Ich liebe Hamburg. Bin hier aufgewachsen zu Zeiten, in denen die Wohlwillstraße – heutige Autobahn zum Kiez – nur eine düstere Nebenstraße des Rotlichtviertels St. Pauli war. Mit dem Einzug der ersten Läden began das Abenteuer. Ein paar Straßen weiter trafen wir uns, schlenderten von Kneipe zu Kneipe, polierten Tanzflächen, leerten unsere Geldbörsen für ein paar kühle Drinks. Der Hamburger Berg war so etwas wie die Erweiterung unseres Wohnzimmers. Vertraut, bequem, ein Ort des Austauschs.

10486822146_08763c0272_b

Nein, ich bin keine 40 Jahre alt. Braucht man auch nicht, um die Veränderungen im Viertel wahnehmen zu können. Damals war auch nicht alles besser – es war nur anders. Nicht vor jedem Club standen Türsteher. Und die paar dunkel gekleideten Schränke, die für Ordnung sorgen sollten, grüßten freundlich. Man zog auch mal allein los, setzte sich an die Bar, schnackte mit den Gästen und trank in großer Runde – inklusive Tresenpersonal.

Der Mensch braucht Orte, damals wie heute – die Rede ist zur Abwechslung nicht von virtuellen Plattformen. Facebook, Twitter und Co. können sich gehackt legen. Reale Orte der Begegnung. Orte, wo zuweilen Unvorhersehbares geschieht, Blicke und flüchtige Berührungen ausgetauscht und Worte gewechselt werden. Ohne Klick und Escape.

Bye Bye altes Wohnzimmer

6934682158_d40acd6c03_b

Schlendere ich heute über diesen Straßenabschnitt am Rande der Reeperbahn fühle ich mich manchmal fremd. Aus einem vertrauten, kuscheligen Wohnzimmer ist ein überfüllter, aus allen Nähten platzender Mikrokosmos geworden. Menschentrauben scharen sich um jede Kneipe. Die Beats pulsieren schneller, die Luft ist dünn, stickig. In einigen Läden scheint sich ein Dresscode eingeschlichen zu haben. Haben wir uns früher auch immer so gemustert? Vermutlich schon, es ist uns vielleicht nur nicht so aufgefallen.

Ein Haufen Partydurstiger Menschen zieht vorüber, laut grölend, kreischend und unaufhaltsam. Sie besetzen Kneipen, verteidigen Tanzflächen und trinken Wodka-Energy. Ihr Durchschnittsalter liegt bei zwanzig. In ihren Gesichtern lassen sich Erwartungen ablesen, sie wollen was erleben, richtig auf die Kacke hauen, sich betrinken, am Ende 'nen heißen Flirt abgreifen.

Hallo Jungbrunnen

Table and chair in a pub / Tisch und Stuhl in einer Kneipe

Das Wohnzimmer ist der Berg nicht mehr, dafür ein Vorführraum junger Menschen, die genauso suchend sind wie wir es waren und manchmal noch sind. Die sich genauso betrinken, ihren Liebeskummer begießen und nach neuen Abenteuern suchen.  Im Gegensatz zu uns werden sie geduzt. Irgendwann müssen wir wohl erwachsen geworden sein – aus Versehen. Wir haben uns verändert. Der Berg ebenso. Bloß nicht im Gleichschritt und nicht so, wie wir uns das vielleicht vorgestellt haben. Trotzdem gut, trotzdem noch alles Beat und wummernder Bass und Herzschlag und Berg.

 

Zurück zur Startseite