Glaube, Liebe, Hamburg: Vergiss Mein Nie

Du bist erst tot, wenn sich niemand mehr an Dich erinnert. 

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Der Tod ist etwas, das den meisten Menschen Angst bereitet. Wenn ein Mensch aus unserem direkten Umfeld stirbt, ist von einem auf den anderen Moment nichts mehr so, wie es mal war. Madita van Hülsen und Anemone Zeim haben mit „Vergiss Mein Nie“ etwas geschaffen, das dabei hilft, den Verlust von geliebten, uns nahestehenden Menschen, zu verarbeiten und die vielen, wertvollen Erinnerungen aufzuarbeiten. Mit viel Liebe und Kreativität schaffen sie es, dem Schwall der Trauer Wärme und Farbe zu verleihen. Als ich von dem Projekt meiner ehemaligen Kollegin Madita erfuhr, war ich fasziniert und habe sie und Anemone in ihrem Laden in der Eimsbütteler Chaussee  getroffen, um mehr darüber zu erfahren.

Wie kommt man auf die Idee, eine Agentur für Leben, Tod und Erinnerungen zu gründen?

Madita und Anemone haben beide ihre eigene erste prägende Erfahrung mit dem Tod eines Menschen gemacht und das Thema hat sie fortan beschäftigt. Beide hatten das Gefühl, dass man einen anderen Weg finden müsste, um mit Trauer und Tod umzugehen. Als die beiden ehemaligen Nachbarinnen sich dann in ihrem gemeinsamen Hausflur trafen und für die Arbeit zu einem ganz anderen Projekt verabredeten, machte es „peng, wie bei sonem Urknall“. Beide haben festgestellt, dass sie das Thema umtreibt und sie nach einem Weg suchen, wie man Trauer angstbefreiter, bunter und lebensbejahender, mit Ideen und Spirit angehen kann. Ab dem Zeitpunkt war klar, dass die beiden sich dem Thema annehmen würden und die Entwicklung ging ziemlich rasant. Beide haben dann eine zweijährige Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Ihre Gedanken trieben vor allem darum, was von einem Menschen bleibt und was damit passiert: „Es gibt 1000 Bestatter und Beerdigungsdienstleistungen aber wer kümmert sich um die Erinnerungen?“ Für die beiden wurde genau das zum neuen Lieblingsthema.

80% der Menschen sagen, dass sie keinen bestimmten Ort benötigen, um sich an den Verstorbenen zu erinnern.

75 % sagen aber, dass sie ein bestimmtes Erinnerungsstück brauchen: Fotos, Andenken, irgendetwas, dass sie mit demjenigen verbinden.

Anemone: „Wir leben auf verschiedenen Kontinenten verstreut und durch die Globalisierung sind wir eine wahnsinnig digitalisierte Gesellschaft geworden. Sowas wie Friedhof und Familiengrab sind überhaupt nicht mehr zeitgemäß, das passt nicht mehr zu unserem Leben. Die Sozialbestattungen steigen an, weil die Leute es ihren Kindern nicht zumuten und keine Mühe machen wollen, aber die Leute brauchen einen Erinnerungsort, das ist psychologisch super wichtig. Anstatt das komplett wegzulassen, sollte man das einfach verlagern und zum Beispiel ein Erinnerungsstück für die Tasche machen oder etwas, das alle Erinnerungen zusammenfasst. Unsere Erinnerungsstücke schaffen eine Verbindung und helfen zugleich, weiterzugehen und nicht an einen Ort gebunden zu sein, wie z.B. das Zimmer eines Verstorbenen oder der Pulli der Mutter, der zu einer Mütze oder einem Schal umgestrickt wird, sodass die Tochter diesen Gegenstand und die Erinnerung immer bei sich haben kann, ohne sie in einem Leben, dass sie nicht mehr hat, festzuhalten.“

Madita: „Wir verstehen Trauerbegleitung mehr als Coaching. Wir sind sozusagen der Zwischenstab zwischen den Freunden, denen man natürlich davon erzählt, sind aber auch keine Psychologen. Wir haben das Feedback bekommen, dass man dann eher zu uns kommt, weil wir eher so normal sind, wenn man das so sagen kann, und distanzloser - irgendwie greifbarer. Man braucht meist einfach jemand Neutralen, dem man das erzählen kann. Die Hemmschwelle ist aber geringer, als wenn man direkt zum Psychologen geht oder vielleicht nach Jahren immer noch die selbe Geschichte den Freunden erzählt. Der Tod wird aus unserem Leben aber sonst so weggestaltet. Viele stehen dann mit 30 das erste Mal auf einem Friedhof und wissen überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollen, weil sie ihr Leben lang davor geschützt wurden. Früher war der Tod normaler, da passierte Geburt und Tod in einem Haus. Heute ist das oft so abgeschirmt. Wir wollen mit Vergiss Mein Nie ein bisschen dagegenwirken, ein bisschen aufklären und zwar auf eine unpeinliche, sympathische und niederschwellige Art und Weise. Wir wollen unser Wissen auf alltagstauglichem Level und auf Augenhöhe weitergeben. Der Tod ist immer scheiße und schlimm, aber er gehört dazu und es wird jedem von uns passieren. Aber wir wollen das Thema mit Leichtigkeit angehen und eher dazu bewegen, über sein Leben nachzudenken und zu reflektieren, was einem eigentlich am Leben alles wichtig ist, wo man sich befindet und welche Rollen man in den verschiedenen Konstellationen einnimmt.“

Zeit für Trauer

Madita und Anemone über die Zeit für und den Umgang mit Trauer: „Wir geben Starthilfe, wie ein Überbrückungskabel, damit du in so einer Situation weiterfahren kannst. Wir können die Trauer nicht wegmachen, niemand kann das. Trauer braucht Zeit und diese Zeit muss man sich selbst geben. Aber das sind wir nicht mehr gewöhnt, das Verständnis dafür ist überhaupt nicht mehr da heutzutage. Wenn etwas länger als 24 Stunden dauert, dann drehen wir schon durch in unserer digitalen Welt. Aber Trauer ist ok, dafür steht Vergiss Mein Nie unter anderem. Gefühle, die negativ sind, gehören dazu.Wir geben einen geschützten Raum dafür, um mal traurig zu sein. Seit wir das machen, erzählen uns die verschiedensten Leute die krassesten Geschichten aus ihrem Leben, was sie vorher für sich behalten haben. Unsere Gesellschaft ist einfach nicht so konzipiert, dass man sich sowas so einfach erzählt. Im Web, z.B. bei Facebook, werden schlechte Neuigkeiten ja auch ausgeblendet, das zeigt es uns im Spiegel, da sprechen die Leute nicht darüber, wenn es ihnen längere Zeit schlecht geht, das ist halt unsexy.“

Die Vision von Vergiss Mein Nie ist auch, mehr Akzeptanz für Trauer zu schaffen und das Tabu zu brechen, dass man nicht darüber sprechen darf. Es soll ja auch nicht die ganze Zeit thematisiert werden, aber es sollte ok sein und natürlich ist das jetzt auch kein Trend um Gottes willen, nicht jeder braucht einen Trauerbegleiter. Viele kommen mit ihrer Trauer und dem Prozess des Verarbeitens sehr gut alleine zurecht, aber manche brauchen da eben Unterstützung.“

Wir können präventiv etwas machen, mit unseren Workshops, wie z.B. dem Erstellen von Testamenten oder natürlich die Erinnerungsstücke, aber in der akuten Trauerphase (ca. 4 Wochen nach dem Tod) sind wir eigentlich nicht, eher so nach Monaten. Das wäre zu früh, da muss jeder erst mal für sich lernen, mit der neuen Situation umzugehen und dann das sacken zu lassen.“

Der Tod ist ein Lebensereignis

Madita: „Ich vergleiche das gerne mit einer Hochzeit, denn eine Hochzeit ist die HOCHzeit eines Paares, der Tod ist der Abschied von jemandem, die HOCHzeit des Abschiedes. Das ist in gewisser Weise schon vergleichbar. Nur für die Hochzeit nimmt sich jeder ein Jahr Zeit, um zu planen, hat den geilsten Redner, das geilste Essen. Aber in der Wertekette ist es für eine Trauerfeier eigentlich total wichtig, dass mindestens genau so zu machen, aber dadurch, dass alles oftmals so schnell geht oder gehen muss, sollte das vorher passieren. Ich persönlich bin durch die Arbeit jetzt total froh zu wissen, dass es so viele Möglichkeiten gibt. Dass ich weiß, dass man einen Sarg oder eine Urne bemalen kann oder man den Fingerabdruck desjenigen als Kette bei sich tragen kann. Es gibt so viele Möglichkeiten und auch wenn ich das nicht mache, beruhigt es mich, das zu wissen.“

Geht ihr durch Vergiss Mein Nie selber anders mit dem Tod um?

Ein klares JA von beiden Seiten. „Unsere Stärke ist, glaube ich, genau, dass wir uns nicht nur mit Tod und Trauer beschäftigen, sondern aus diesen anderen beiden Bereichen kommen, wo wir ganz viel Energie und Kraft draus schöpfen, die wir dann in die Vergiss Mein Nie-Arbeit stecken können. Und das ist eine schöne Arbeit, die sehr erfüllend ist und auf die ich sehr stolz bin. Das macht uns auch glücklich, weil wir das Gefühl haben, Menschen etwas zu geben.“ Anemone arbeitet sonst als freie Texterin in einer Agentur, Madita ist Moderatorin.

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Familienaufstellungen funktionieren auch als eine Art der Trauerbegleitung und werden –ursprünglich aus einer Not heraus geboren – mit Playmobil umgesetzt.

Zum Abschluss des Gesprächs hat Anemone noch etwas auf dem Herzen: „Unser Ansatz ist es ja, zwei Welten zusammenbringen. Trauer und lustig bunte Kreativität. Kunst und Kreativität sind die Sprache der Emotionen und wenn du trauerst, dann hast du vielleicht irgendwie gar keine Worte und keine Sprache mehr und dann ist Kreativität immer ein guter Weg, sich trotzdem auszudrücken, sich darzustellen. Ob man jetzt ein Bild malt oder Farbe an die Wand haut, ist egal. Aber dieser Ansatz, den wir da haben, sei es jetzt bei Kindern oder bei Erwachsenen, funktioniert ganz gut, da Kreativität immer ein Hebel ist. Das heißt aber nicht, dass jemand selber unbedingt kreativ sein muss. Viele können das auch gut alleine aber auch wenn nicht, können wir das für denjenigen tun! Wir wollen dabei helfen, Erinnerungen zu schaffen, die tragbar sind und in Zeiten wie diesen auch über Globalisierung hinweg bestehen.


Das Portfolio von Vergiss Mein Nie:

  • Erinnerungen greifbar machen: Aus persönlichen Erinnerungen, Andenken und Erbstücken werden individuelle Erinnerungsstücke erarbeitet.
  • Trauerbegleitung – Nach vorne trauern:
    • In Form von Einzelcoachings oder kleinen Gruppen, um nach dem Verlust eines geliebten Menschen wieder in Bewegung zu kommen.
    • Workshops
  • Verschiedenen Workshops über Leben & Tod
  • Trauerkarten und Danksagungen
  • Beratung und Empfehlung von Dienstleistern
  • Trauerkommunikation für Unternehmen & Institutionen

Anemone und Madita freuen sich auf Eure Fragen zum Thema: www.vergiss-mein-nie.de oder unter [email protected].

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