Sternschanze, was hat dich bloß so ruiniert?

Ach ja: Nostalgie kann schon immer schnell peinlich werden. Außer, es geht um das eigene Zuhause. Und um die Sternschanze. Das zeigt jetzt auch eine Reportage, die SPIEGEL TV über unser aller Vergnügungsviertel gedreht hat. Und die macht ziemlich deutlich: Früher war echt nicht alles besser. Aber wenigstens war es gut.

 Samstagnacht, gegen 1, Schanzenviertel. 

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Samstagnacht, gegen ein Uhr, Schulterblatt, schnell noch was trinken, in irgendeine Bar, kennt man ja. Auf dem Weg: Slalomlaufen und Geschrei, irgendjemand erbricht sich in den Mülleimer an der Ecke Susannenstraße, ein Typ schaut rüber und holt sein Handy raus. Vor der Haspa Schlangestehen, dann auf die andere Straßenseite, die teuerste schlechte Pizza der Stadt essen. Straßenseite wechseln, Galao-Strich, Gruppen, Menschen, Musik, Geschrei, bloß schnell weiter, bloß irgendwo rein, BP1 vielleicht oder ins Thier, ein Schnaps bei Daniela oder vier, egal, hauptsache von der Straße hier weg, wo sind eigentlich die anderen, was machen all diese Menschen hier?

Als ich 2007 nach Hamburg zog, war es schon passiert: Die Schanze hatte sich entpuppt, war aus dem Dreck gekrochen und aufgeblüht, plötzlich überall Bars und Tamtam, plötzlich Touristen (ich lüge nicht!) die mit einer Karte vor dem Haus standen, in dem ich damals lebte. Die Frau zum Mann: Schau mal, das hier ist die sogenannte Sternschanze, hier wohnen die Punks und die Drogenabhängigen, spannend! Ich ging vorbei und lachte, Punks standen schon damals nur noch vor der Flora, das Viertel wurde schon eingenommen, war schon teurer als die meisten anderen, aber noch bezahlbar (350 Euro für ein Zimmer, kannste dir das vorstellen?).

 

Wer ist denn jetzt hier eigentlich Schuld?

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Mit den Jahren änderte sich das, die Geschichten kennen wir alle und immer ist irgendwer anders Schuld, die Immobilienmakler, die Zugezogenen, die Reichen, die Kreativen, die Medien, die Hipster (echt jetzt?), die SPD oder die CDU, König der Löwen oder Roland Schill - irgendwer ist auf jeden Fall Schuld. Aber wer jetzt eigentlich?

Das versucht auch eine Reportage von SPIEGEL TV herauszufinden. Unter dem lächerlich bis skurrilen Titel "Überleben in der Partyzone" zeigen die Bilder und Gespräche mit Anwohnern, wie es um Leerstand, eine völlig aus dem Ruder gelaufene Gastronomie und um Politiker steht, die lieber noch ein monströses Bauprojekt mit Wohnungen durchwinken, die so astronomisch teuer sind, als lägen sie auf einer Insel mitten in der Binnenalster, als sich klar gegen die Ausschlachtung eines Viertels zu positionieren. Es zeigt auch: Gentrifizierung ist nichts, was einfach so passiert. Es ist etwas, das zugelassen wird. Von vielen. Nicht von einzelnen.

Benimm dich gefälligst!

Und sicherlich, niemand muss in die Schanze gehen oder ziehen. Ich habe meine kleinen Inseln gefunden und ich weiß, wann ich dort besser nicht hingehe. Trotzdem fühlt es sich ein bisschen so an, als hätte man einer Heimat den Hafen genommen, als hätte man ausgeschlachtet, was man ausschlachten kann um am Ende zu sagen: Na ja, hat ja geklappt, war ja alles möglich. Dass man aber nicht immer alles machen muss, nur weil es geht, das wissen wir ja nun auch. Aber: Auch jene, die wie ich mit gesenktem Kopf und genervt über das Schulterblatt rennen, sind ein Teil der Menge. Auch wir sind Teil des Problems. Nicht bloß die anderen, nicht bloß die Gruppe von Typen, die das Mädchen filmt, das in den Mülleimer kotzt.

Am Ende zählt deshalb kein Boykott und keine Überheblichkeit, kein "Ich bin besser als das hier" oder "Wer darauf keinen Bock hat, kann ja wegziehen", kein beschissenes Ego-Denken und kein immerwährendes Wiederholen des gleichen Problems. Sondern: Teil der Lösung sein. Indem man zum Beispiel nicht meckert, wenn der Wirt darum bittet, ab 22 Uhr reinzugehen. Indem man nachts nicht rumschreit, niemandem auf die Fresse haut und keinen schubst. Indem man sein Glas nicht auf die Straße wirft und nicht in Hauseingänge. Indem man sich verdammt noch mal dort so benimmt, wie man sich eben in einer Heimat benimmt. Denn die Schanze ist Heimat und Zuhause für sehr viele Menschen. Ja, Kollege, glaub mir, in den Häusern da wohnen echte Menschen. Also benimm dich gefälligst!

 

Sei Teil der Lösung - nicht des Problems.

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Und vielleicht muss man ja auch dort nicht in bestimmte Läden gehen. Vielleicht kann man ja auch sagen: Das unterstützte ich nicht mit meinem Geld und meiner Anwesenheit. Das ändert vielleicht nicht, dass total überteuerte Brillen-, Kosmetik- oder Klamottenläden dort ihre Türen aufmachen. Aber es macht etwas mit dem eigenen Gefühl. Eben: Nicht Teil des Problems sein, sondern Teil der Lösung.

Das alles löst zwar nicht das Grundproblem, aber es könnte der Anfang einer Kultur sein, in der man dort okay miteinander umgeht. Ohne Pöbeleien und Geschrei, ohne Gedränge, Arroganz und Gleichgültigkeit. Eben, wie man sich Zuhause auch benehmen würde. Es sei denn, man ist ein Arschloch. Dann lässt man ein Haus verkommen, um es abzureißen oder pinkelt in den Hauseingang. Zum Glück muss man das aber ja nicht. Zum Glück kann man ja ausnahmsweise auch einfach mal die Schuld nicht bei anderen suchen, sondern bei sich selber anfangen. Oder?

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