Glaube, Liebe, Hamburg: Man kann nicht für zwei lieben.

Weißt du, ich hatte immer Verständnis. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich das alles hernahm, dieses Verständnis, aber ich hatte Unmengen davon. Wenn du nicht da warst, weil du nicht konntest. Wenn du nicht da warst, obwohl du eigentlich wolltest, obwohl ich geplant und mich gefreut und rausgeputzt hatte.

Über das sprichwörtliche Gleichgewicht

Deinetwegen stand ich immer wieder enttäuscht und alleine da. Immer wieder, und daran änderte auch jeder Status der Welt nichts. Und natürlich, du meintest das nicht böse. Du musstest andere Dinge tun, wichtigere Dinge. Vielleicht hast du das nicht so gesagt, aber wir haben es beide gewusst. Und weil ich wusste, dass da diese wichtigeren Dinge waren, habe ich versucht, damit umzugehen. Versucht, dich zu unterstützen, da zu sein, wenn du mich brauchtest, auch wenn du es nicht warst. Ich fühlte mich, als würde ich dich verraten, wenn du mich enttäuschtest, wenn ich mir Hoffnungen machte, die du nicht erfüllen konntest. Du konntest ja nicht anders. Dachte ich. Und dass ich trotzdem enttäuscht wurde, machte mich verrückt.

Ich hatte mal einen Deutschlehrer, der die Handlung von "Maria Stuart" mit einer Waage erklärte. Er stellte sich vor die Klasse, Arme seitlich gespreizt, und machte die Waage. "Eine Person in diesem Drama kann nicht glücklich sein, ohne die andere unglücklich zu machen“, sagte er. Eine seiner Arm-Waagschalen hob sich, die andere sank.

Wenn das erwachsen sein soll ...

Weißt du, wen ich wahnsinnig oft vor Augen hatte, wenn ich an uns dachte, dieses Konstrukt aus dir und mir und tausend anderen, wichtigeren Dingen? Diesen Deutschlehrer und seine Waagschalen. Ich warf alles, was ich hatte, in unsere Waagschale, um dich glücklich zu sehen, zu machen. Ich nahm all meine Liebe und schleuderte sie dir entgegen, hatte Verständnis, gab mir Mühe, alles richtig zu machen. Und irgendwie war es trotzdem nie genug. Nicht genug, um auf mich zurückzufallen. Und ich hasse, wie egoistisch das klingt.

Egoistisch fühlte ich mich, weil ich so viel mehr von dir erwartete, obwohl ich mir wirklich Mühe gab, es nicht zu tun. Wo keine Erwartungen sind, kann man auch nicht enttäuscht werden. Ich dachte, das wäre dieses "erwachsen damit umgehen", wovon immer alle reden. Aber wenn das erwachsen ist, möchte ich lieber für immer mit Peter Pan fliegen. Wenn es "erwachsen" ist, mich aufzulösen in einem Menschen, der alles aufsaugt, ohne zurückzugeben, dann besorgt mir bitte einen KiTa-Platz.

Ich gebe zu viel. Und du?

Es kostete mich Tränen, schlaflose Nächte und wahnsinnig viel Zeit, zu verstehen, dass ich nicht zu wenig gab, sondern zu viel. Zu viel von mir floss in ein Konstrukt, das mir zu viel nahm und zu wenig gab. Zwischenmenschliche Beziehungen sind kein Girokonto. Natürlich zahlst du nicht 100 Liebe ein und hebst diese dann wieder ab, wenn du sie gerade brauchst. Und genau deshalb dachte ich auch, das mit uns müsse trotzdem funktionieren. Ich sprach mir selbst jegliche Ansprüche auf Liebe ab und bewarf dich trotzdem weiter mit meiner. Wenn einer weniger investiert, muss der oder die andere das eben ausgleichen, dachte ich.

Und das ist Schwachsinn. All das Verständnis, all die Nachsicht, haben sie geholfen? Mich glücklicher gemacht? Unsere Waagschalen irgendwann ins Gleichgewicht gebracht? Oh nein. Verständnis und Nachsicht sind elementare Bestandteile gesunder Beziehungen, genau wie Ausgeglichenheit und Engagement aller Beteiligter. Und wenn letzteres nicht gegeben ist, dann wird alle Liebe, alles Verständnis, alle Nachsicht und alles Sich-Zurücknehmen und Erwartungen-Runterschrauben auch nicht helfen. Dann wirst du immer in der unglücklichen Waagschale sitzen, dich immer schlecht für deine Enttäuschung fühlen und unglücklich sein. Du wirst kaputt gehen an dem Versuch, nicht egoistisch zu sein, Mutter Theresa zu sein, gütig, liebend, selbstlos. Es wird dich auffressen und weißt du auch, wieso?

Man kann nicht für zwei lieben, das ist mir jetzt klar.


 

Titelbild: Alexanderplatz #VIII by Alexander Rentschis licensed under a Creative Commons license.

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