Wohne lieber ungewöhnlich: Die Villa E96 an der Elbchaussee

© Alexandra Brucker

0815 Zimmer, Küche, Bad? Non, niet und nochmals nein! Alex‘ Spürnase führt uns direkt in die Zauberbuden dieser Stadt. Dabei stößt sie auf ungewohnt bewohnte Orte und ihre noch ungewöhnlicheren BewohnerInnen. Jurte oder Villa? Zirkuswagen oder Hausboot? Wasserturm oder Windmühle? Si, oui und nochmals ja! Mensch, Kinners… ja wie wohnen wir eigentlich?

Die Elbchaussee ist der Catwalk für Hamburger Villen. Gebäude posen hanseatisch-vornehm, den Fensterblick stolz gen Elbe gerichtet. Das Auge wandert unaufgeregt von Fassade zu Fassade. Doch ein Haus löst bei Spaziergängern die Massenkarambolage aus. Die Villa E 96 ist das Enfant Terrible in Ottensen und lässt mit ihrem Jean Paul Gaultier-Stil die Nachbarvillen ziemlich alt aussehen. Form- und Farbmixe, Faltfenster, Goldwände spielen mit dem Auge Katz und Maus.

Alex hat angeklopft und mit Hausherrin und Kreativfrau Marion Stoeter geplaudert. Ein Gespräch über Käseplatten, Eppendorfer Wohnungen, einen gebrauchten Porsche, drei abenteuerlustige Seniorinnen aus Poppenbüttel und was es heißt, in seinem Leben ganz man selbst zu sein.

Erwartet mich in diesem Haus etwas Gewöhnliches?

Hmm.. nein! (Lacht)

Die Villa lockt etliche neugierige Blicke an. Unter uns, was haben Sie hier schon erlebt?

Neulich ist etwas Supersüßes passiert. Drei reizende, ältere Damen standen vor der Tür und klärten mich auf, sie seien jetzt da. Ich antwortete: „Ja, das sehe ich“. Die drei waren den ganzen langen Weg aus ihrem Seniorenheim in Poppenbüttel hergefahren, um sich mein Haus anzuschauen und hier einen Kaffee zu trinken. Die Jüngste war 82, die Älteste 89!

© Villa E96

Ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuschicken, und ihnen die Ausstellungsräume im Erdgeschoss gezeigt. Die drei waren richtig hartnäckig und fragten: „Was ist da oben noch?“. Ich dachte: „82, 87, 89 - das ist ‘ne Ansage bei den ganzen Treppen!“ Da habe ich die drei feine Damen auch noch mit in unsere Wohnung in den ersten und zweiten Stock genommen und ihnen Tee zubereitet. Sie waren ganz beseelt und versprachen mir, im Altersheim niemandem von diesem Geheimtipp zu erzählen.

Kürzlich hielt auch ein Bus mit Japanern an. Alle stiegen aus und fotografierten unser Haus. Zwei klingelten sogar bei unserem Nachbarn. Den fragten sie, ob sie unsere Villa von seinem Haus aus fotografieren könnten, weil von dort die Perspektive besser sei.

© Villa E96

Die Schaulustigen kennen keine Grenzen, oder doch?

Es klingeln schon regelmäßig Leute an unserer Tür. Wenn ich dann sage „Das ist ein privates Haus“ erwidern sie oft mit einem „ So sieht es aber nicht aus!“ Ich sehe das allerdings gelassen. Wer Ungewöhnliches baut, muss auch ungewöhnlich offen sein. Auch seinen Nachbarn gegenüber.

Wir unterhalten uns gerne mit Menschen. Deshalb habe ich auch alle Nachbarn zum Baugrubenfest eingeladen, zu Würstchen und Bier. Da kommt die Düsseldorferin in mir heraus. Wir haben den Menschen erklärt, was wir hier vorhaben. Nie fiel danach ein böses Wort. Im Gegenteil.

Ihr Mann hat die Villa selbst kreiert. Wie erschafft man bitte ein solches Haus?

Das war ein Prozess über Jahre hinweg. Zwei Jahre hat er an der Villa minutiös geplant und gezeichnet. Es ist rein gar nichts vor Ort entstanden. Das Haus, so wie es hier steht, war auf dem Papier komplett durchgezeichnet. Jedes Detail. Und das im Kopf!

© Villa E96

Worin ist ihr Mann denn spezialisiert?

In klassischen Villen à la Palladio oder Schinkel. Er baut in München gerade an 1500 Quadratmetern privatem Wohnraum für einen sehr bedeutenden Unternehmer, dessen Namen ich nicht nennen darf. In Blankenese hat er ein Haus gebaut und dafür die Säulen extra aus Italien bestellt.

Wo finde ich in der Villa klassische Elemente?

Gar nicht. Vielleicht die französischen, ovalen Fenster im Badezimmer, aber ansonsten ist hier alles frei. Unsere Devise lautet: So wenig Wand, so viel Licht wie möglich.

© Villa E96

Ihr Mann arbeitet als Architekt – was ist Ihr Beruf?

Seit 25 Jahren bin ich Veranstaltungsmanagerin, seit 20 Jahren Galeristin. Ich verkaufe unter anderem Kunstwerke meines Freundes Klaus Drobig und betreibe damit Handel. Vor 45 Jahren war er der erste Gallerist auf Mallorca. Er hat in der Mitte der Insel einen alten Bahnhof überlassen bekommen. Dort kaufte er etlichen Künstlern ihre Werke ab - heute ein Fundus von über 2000 Originalen! In die Kunstszene bin ich aber noch früher reingerutscht.

Mein Großvater studierte zusammen mit Paul Klee in Dessau am Bauhaus. Paul Klee ging damals bei uns ein- und aus. Wir haben noch zahlreiche Handskizzen von ihm. Mein Vater arbeitete bei IBM und wir zogen alle zwei Jahre um. Köln, Düsseldorf, Frankfurt,… in jeder neuen Stadt meldete mein Vater uns beim Kinderclub der städtischen Museen an! Hier in Hamburg beschäftige ich mich nun mit der zeitgenössischen Kunst. Ich habe letztes Jahr fünf Messen organisiert und bin jetzt das 6. Mal bei der Affordable Art dabei. In meiner Port View Gallery an der Elbe stelle ich aus.

© Alexandra Brucker

Was treibt Sie in ihrer Arbeit und privat an?

Freude. Auch wenn es mal ganz hart ist, ich Stunden im LKW sitze und die Messe aufbaue, ist immer das Element der Freude mit im Spiel. Ich bin ein grenzenloser Optimist und auch wenn es irgendwie ganz fett und doof kommt, denke ich immer noch: „Naja, ist richtig blöd. Aber es war davor klasse und es wird danach auch wieder klasse.“

Eine Wohnung spiegelt den Menschen wider, der darin wohnt. Oder wie sehen Sie das?

Unbedingt! Ich denke, eine Wohnung kann und sollte vielleicht auch der Spiegel des Bewohners sein. Sie sollte den Betrachter auf eine Spur bringen. Ich beobachte selbst ganz intensiv, wie jemand eingerichtet ist. Daran kann ich sehen, wie frei derjenige ist. Viele richten sich für andere und gar nicht für sich selbst ein. Oder sie wollen nach außen hin ein Bild projizieren. Mit bestimmten Möbeln einer gewissen Epochen zum Beispiel.

© Villa E96

Dann gibt es natürlich auch Menschen, denen ist Einrichtung egal. Die brauchen einen Tisch und einen Stuhl und noch irgendwas, was ihnen zufällig über den Weg läuft. Die denken sich: „Darauf lässt es sich gut sitzen, das kaufe ich jetzt.“ Das sagt natürlich auch etwas über den Menschen aus – aber das bewerte ich nicht! Diese Leute beschäftigen sich vielleicht intensiv mit anderen Dingen. Mit Literatur, Kunst oder Musik. Ihnen ist ihr Umfeld nicht so wichtig.

Wohnen hat auch viel mit der Prägung zu tun. Ich komme aus einem Haushalt, wo auf das Wohnen, auf Gestaltung und alles Schöngeistige immer extrem viel Wert gelegt wurde. Es gibt ja Leute, die legen die Käsepackung auf den Tisch. Und dann gibt es Leute, die legen den Käse aus der Packung, packen ihn auf einen Teller, legen eine Gabel dran und bringen das dann auf den Tisch.

© Villa E96

Von der Käseplatte zum Elternhaus! Wie sah das bei Ihnen aus?

Ich hatte ein sehr künstlerisches und freies Elternhaus, aber auch ein sehr kümmerndes. Es kam immer die Nachfrage: Wie geht es dir? Das gab mir das Gefühl: Ich kann durch den Atlantik schwimmen, aber habe immer ein Beiboot dabei. Wenn man weiß, dass man nicht untergehen kann, hat man auch die Kraft, große Distanzen zu schwimmen. Diese Liebe und Geborgenheit hat zum Ergebnis, dass man sich kraftvoll fühlt. Aus der Kraft heraus ist man dann grenzenlos. So fühle ich mich.

Wie war denn das Haus ihrer Eltern eingerichtet?

Es war ein klassisches Haus. Aber eben auch mit großen Fensterfronten, alles zum Süden, zum Garten hin, von der Decke bis zum Boden hin offen. Überall war Licht. Meine Eltern hatten auch keine Gardinen, wie bei uns in der Villa!

© Villa E96

Was sind ihre Lieblingsecken in der Villa?

Ich sitze immer gerne an den Stellen, von denen aus ich die Natur sehen kann. Vom Bett im Schlafzimmer kann ich durch die bodentiefen Fenster rausschauen in den Park. Die Fenster kann ich vollkommen auffalten - wie bei einem Cabriolet. Sonst ist das ja meistens so: Man geht in ein Haus und dann ist man in diesem Haus. Ab dem Moment sind Mauern um einen herum. Hier aber findet das Auge immer jederzeit den Kontakt zur Außenwelt. Sind sie schwindelfrei?

Nicht wirklich! Geht’s jetzt hoch?

Ja, auf die Dachterrasse. Im Sommer ist hier alles zugewachsen. Dann habe ich das Gefühl, ich bin im Dschungel. Hier trinke ich morgens gerne meinen Kaffee. Wir haben eine kleine Tanne, die ist wirklich schon lange bewohnt mit einem Ringeltauben- und einem Eichhörnchenpärchen. Auf dem Dach lebt außerdem seit vielen Jahren ein Rabenpaar.

© Villa E96

Könnte die Villa E96 in jeder Stadt stehen?

Ja! Das Haus ist wie eine Skulptur. Sie können es von allen Seiten betrachten und von jeder Seite ergibt sich ein anderer Anblick. Im Gegensatz zu einem Gründerzeit-Gebäude aus Eppendorf, das ist keine Skulptur. Dort hat man es immer mit dem gleichen Baukörper zu tun – nur unterschiedlich dekoriert – mit kleinen Girlanden, Stuck, kleinen Säulen und Elementen, die leicht vom Bau abgeschlagen werden können. Schauen Sie sich die Hinterhöfe in der Eppendorfer Landstraße an: vorne die große Show, hinten komplett schmucklos.

Ihr Haus ist ein einziges Formenspiel. Was sind ihre Lieblingsformen?

Das Schwebende, Leichte, Filigrane, Zarte und Offene ist das, was mir am meisten gefällt. In einem Backsteinhaus mit Sprossenfenster zu wohnen wäre für mich Höchststrafe. Es muss schon eine moderne, schöne, klare Struktur haben. Dieses Puppige und Verzierte… die typischen Eppendorfer Wohnungen mit knatschenden Böden und kleinen Fenstern – trotz 3,70 m Deckenhöhe– stehen meiner Meinung nach für eine unaufgeklärte und unfreie Zeit. In solchen Räumen möchte ich nicht leben.

© Villa E96

Wann ist für Sie eine Wohnung wohnlich?

Mir sind vor allem zwei Möbelgruppen wichtig: Einmal ist es ein Tisch. Ich muss mit mindestens acht oder zehn Menschen am Tisch sitzen können. Der Tisch ist für mich ein Mikrokosmos und ein eigener Lebensraum, an dem sehr viel stattfindet. Hier wird gegessen, diskutiert, vorbereitet, kreiert.

Dann benötige ich als Zweites ein Sofa oder einen weichen Rückzugsort, wo ich mich fallen lassen kann, wie auf Wolkenkissen, mit einem Buch versinken oder mit guter Musik dahinschweben kann. Für mich gehört Kunst an den Wänden natürlich dazu und Bücher sowieso. Ganz am Schluss kämen für mich so Sachen wie Kissen oder Teppiche.

So die Wohnung, so die Besitzerin? Wo fallen sie aus dem Raster – wie Ihre Villa?

Ich mache, was ich möchte – außer ich würde damit jemandem schaden. Wenn es mir wirklich richtig gut geht, wenn ich zum Beispiel einen tollen Job gemacht habe, gehe ich auch schon einmal zu einem Obdachlosen und gebe ihm 50 Euro. Das kommt dann aus mir raus und mir ist es wichtig, diese Freude weiterzugeben. Das klingt jetzt kitschig, aber: Freude ist wirklich etwas, das wächst, wenn man es verschenkt.

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