Hamburg, Stadt für Reiche: Das Clubsterben frisst die Kultur

In Hamburg wird noch jeder Club planiert, falls die Subkultur das Ruhebedürfnis der Großgrundbesitzer stört oder weniger Rendite verheißt als aller Mainstream. Mit dem Moloch trifft es nun aber einen Ort, der niemanden stört. Eigentlich. Ein Abgesang auf den Popstandort.

Eine Stadt von Reichen für Reiche als Geschäftsprinzip

Wenn die Stadt der Reichen ihre Reichen umsorgt, was die Stadt der Reichen mal abgesehen vom ärmeren Mittelbau durchreisender Musical-Fans längst zum zentralen Geschäftsprinzip erkoren hat, dann macht die Stadt der Reichen meist Null Kompromisse.

Irgendwo irgendwas zu laut, zu wild, zu räudig im Umfeld glasstahlglänzender Luxusappartements oder lukrativer Massenkulturtempel? Auf Wunsch planiert die Stadt der Reichen alles, was den Lauten, den Wilden, den Räudigen zur kollektiven Freizeit dient. Eigensinn zum Beispiel und Kreativität, soziales Miteinander, Nebeneinander, Durcheinander, gern Alltag genannt. Und natürlich: Die Subkultur in der überdachten Darreichungsform Clubkultur.

Alles zum Wohle von Ruhe und Ordnung, Profit und PR, Spekulation und Hochglanz
Jan Freitag

Von ihr nährt sich Hamburg auch 60 Jahre nach deren Geburt mit mächtigem Appetit. Seit das Stadtmarketing dank einer Band namens Beatles, die vorm Durchbruch einen Bruchteil ihrer kurzen Karriere im Dunstkreis der Reeperbahn verbrachte, den Pop kaufmannsstolz als Standortfaktor ausschlachtet hat, tun die Pfeffersäcke wirklich alles, um ihn gleichsam zu zerstören. Schließlich war kein Club je sicher vor dem, was in der Freien- und Abrissstadt erst seit kurzem Gentrification heißt, aber seit jeher das städteplanerische Handeln diktiert. Alles zum Wohle von Ruhe und Ordnung, Profit und PR, Spekulation und Hochglanz.

© Moloch Presse

Nun jedoch attackiert die aseptische Mehrheitskultur ein Stück lauter, wilder, räudiger Subkultur, die eigentlich zu weit weg ist, um dem rentablen Behaglichkeitsbedürfnis der Marke Hamburg ins Gehege zu kommen: Das Moloch. Vor knapp vier Jahren auf einer Brache im seinerzeit verwaisten Oberhafen gegründet, wummerte es drei Sommer lang mit wachsendem Publikum vor sich hin und füllte jenes Loch repetitiver Musik, das die Schließung des elektroalternativen Dreigestirns aus Phonodrome, Click und Echochamber 2005 gerissen hatte.

Wir sind hier in Hamburg. Da zählen Grundbesitzer alles und Kulturtreibende – außer, sie heißen Elbphilharmonie – nichts.
Jan Freitag

Es droht die nächste Leerstelle. Der Grund: Lärmschutz. Und das in einer fast unbewohnten Gegend der entstehenden Hafencity, die ihre Lärmschutzobjekte nachträglich vor die Tür des Lärmschutzsubjekts setzt. Denn dass der Bezirk Mitte dem Club nun nahezu unfinanzierbare Dämmungsmaßnahmen auferlegt, liegt explizit an drei Neubauten, die noch gar nicht bezugsfertig sind. Das ist zwar so, als würde man einen Bauherrn zur Installation ausreichender Landeplätze auf dem Dach verpflichten, falls sich der Straßenverkehr irgendwann in die Luft verlagert, aber gut: wir sind hier in Hamburg. Da zählen Grundbesitzer alles und Kulturtreibende – sofern sie nicht grad heillos überteuerte Philharmonie-Denkmäler mit Steuermitteln errichten – nichts. Und das lässt sich über die Jahrzehnte ablesen wie in einer Chronik subkultureller Ignoranz.

© Elbphilharmonie

Die Ernst-Merck-Halle, in den 50ern Konzerthalle von Weltruf? Ein Messehotel! Der Starclub, in den 60ern die Geburtsklinik der Beatles? Bald nach dem letzten Gig der Fab Four vernichtet! Das Onkel Pö, in den 70ern Eppendorfs Antwort auf Brooklyn? Ein Kettenrestaurant! Das Madhouse, in den 80ern Deutschlands Rockdisco schlechthin? Ein Kiosk! Das Powerhouse, zugleich Brutstätte der heimischen DJ-Szene? Ein Luxushotel. Das Heinz Karmers, in den 90ern Pausenhof der Hamburger Schule? Ein Parkplatz. Die Anfangsbuchstaben planierter Party-Betriebe nutzen das Alphabet in voller Länge und zurück. Zuletzt waren Yoko-Mono, Klubsen, Hasenschaukel und Golem fällig. Es folgen in Kürze: Astra-Stube, Fundbureau, der halbe Hamburger Berg und wer weiß – das altehrwürdige Logo?

Es mag Zweckpessimismus sein, den subkulturellen Untergang zwischen Alster und Elbe nur laut genug beklagen, damit er doch nicht erfolgt
Jan Freitag

Die Pop- und Beatles-Stadt, die Rock-, Punk- und Schul-, die Deichkindbrotebeginnerblumfeldzitronenstudiobraunbegemann187-Stadt der 1000 „Läden, Schuppen, Kaschemmen“, wie sie Christoph Twickels gleichnamiger Interviewband rühmt – dieses Hamburg ist mindestens hinfällig, zusehends hirntot, demnächst Geschichte? Es mag Zweckpessimismus sein, den subkulturellen Untergang zwischen Alster und Elbe nur laut genug beklagen, damit er doch nicht erfolgt. Aber was bitteschön soll den Seitenarmen des Underground noch Hoffnung geben, wenn der Mainstream selbst unbewohnte Inseln wie das Moloch wegspült?

Sicher – Reeperbahn-Festival und Gänge-Viertel, Pudel, Hafenklang, Dockville, Uebel & Gefährlich sorgen auch weiterhin dafür, dass Hamburg auf der globalen Musiklandkarte bleibt. Eine der mehr als 100 Bühnen steht garantiert auf dem Plan nahezu jeder Indie-Band des Planeten auf Europa-Tour. Und wenn etwas verschwindet, steht es nicht selten andernorts wieder auf, wie das Molotow gerade mit viel Durchhaltewillen beweist. Dennoch werden die vergessenen Orte längst so konsequent lückenbebaut, das selbst Guerilla-Clubs auf Zeit selten sind. Hamburgs Pop-Revolution frisst ihre Kinder. Moloch – halt durch!

Clubsterben bekämpfen, Petition von 140 Hamburger Musikclubs unterschreiben.

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