Frei in Hamburg: Wo Kreativität in Hamburg noch Freiraum hat

© Alexandra Brucker

Fällt im Umland der Name Hamburg, denken Touristen an gut besuchte Musicalhallens, vielleicht auch an die Elbphilharmonie. Hundertprozentige, kreative Quatschräume ohne Profitdenken - dafür reisen wir doch lieber nach Berlin, wa? Stopp, stopp, stopp! Neben dem Hochglanz-Hamburg finden sich auch in der Hansestadt Nischen, in denen die Kultur aufmüpfig und die Kunst krawallbürstig ist. Wir präsentieren fünf Freiräume, in denen etwas passiert, das garantiert nichts mit Kommerz zu tun hat!

1. Die Bedürfnisanstalt - ein kreatives Örtchen in Ottensen

© Alexandra Brucker

Es war einmal ein stilles Örtchen. Von 1928 bis 1970 diente der Oelsner-Pavillon den Ottensern als öffentliches WC, Straßenbahn-Wartehalle und Kiosk. In den 80er Jahren wurde das Örtchen noch stiller als zuvor – es wurde geschlossen. Die „Bedürfnisanstalt“ begann zu verfallen. 2001 galoppierte die Rettung heran! Das Häuschen wurde saniert, zum Atelierraum umgebaut und sogar unter Denkmalschutz gestellt. Heute ist aus dem stillen ein kreatives und geselliges Örtchen geworden. Das WC-Haus an der Ecke Bleickenallee / Hohenzollernring verwandelte sich 2008 zum intimen Ausstellungsraum. Seine 17 Quadratmeter bieten seitdem Platz für Kunst und kulturelle „Bedürfnisse“ aller Art. Ob Ausstellung, Installation, Theater, Musik, Vortrag oder Lesung – hier finden Künstler für wenig Geld ein bisschen Raum und ihr großes Glück.

Die Bedürfnisanstalt | Öffnugnszeiten: täglich von 10:00 - 12:00, 15 - 20:00 Uhr | Bleickenallee 26a, 22763 Hamburg | Mehr Info

2. Das Oberhafenquartier – zaubern in der HafenCity

@ Alexandra Brucker

Am Eingang grüßt uns die Oberhafenkantine aus ihrem schiefen Häuschen. Doch heute geht es nicht um sie, sondern um ihre Nachbarn. Hinter dem kleinen Gebäude ducken sich lange Industriehallen in eine Senke. Dieser Ort, der Oberhafen, ist Kult und Kultur – und das in der HafenCity! Auf rund 67.000 Quadratmetern tummelt sich auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs die Kreativszene, Tendenz steigend. Tischler und Filmemacher werkeln in Co-Working-Spaces, die Hanseatische Materialverwaltung sammelt und vermietet Film- und Theaterrequisiten, die Lukulele-Kids tanzen die Industriehallen in Grund und Boden, der Kammerkunstverein feiert mit klassischer Musik die Afterwork-Stunde, nachts wummern (noch) Elektro-Sounds aus dem Moloch und, und, und. Währenddessen rauschen auf der benachbarten Bahntrasse die Schnellzüge vorbei. Oh wie schön ist Panama! Oh wie schöner ist das Oberhafenquartier.

Das Oberhafenquartier | 20457 Hamburg | Mehr Info

3. Die Kultursoldaten erobern die Viktoria-Kaserne

© Alexandra Brucker

Fast hören wir die Viktoria-Kaserne zufrieden grunzen. Das wilhelminische Backstein-Ungetüm in Altona sieht einer rosigen und kreativen Zukunft entgegen. Seit 2015 gehört das denkmalgeschützte Gebäude der Genossenschaft fux eG. Rund 150 Genossen plünderten damals ihre Sparschweine, um das historische Gebäude auf Vordermann zu bringen und darin arbeiten, experimentieren, ausstellen, feiern zu können. Ihr Motto: „Kollektive Stadtentwicklung statt Betongold-Logik“. Zum Konzept gehört auch, dass der Mietpreis bei fünf Euro pro Quadratmeter festgesetzt ist – ein starkes Zeichen gegen die wachsenden Mieten in der Hansestadt. Die Geschichte des Kaufs ist eng verbunden mit der Recht-auf-Stadt-Bewegung in Hamburg. Sie begann 2010, als der Verein Frappant einen Teil der Viktoria-Kaserne bezog, weil er dem Ikea-Neubau in der Großen Bergstraße weichen musste.

Viktoria-Kaserne | Zeiseweg 9, 22765 Hamburg | Mehr Info

4. Das Gängeviertel – Kultur sta(d)tt Geld

© Alexandra Brucker

Den Spitznamen „Freie und Abrissstadt“ erlangte Hamburg mit der Zerstörung seines Doms und ganzer Wohnviertel. Wie ein kleines Wunder wirkt es daher, dass engagierte Bürger das Gängeviertel am Valentinskamp im Jahr 2009 vor der Zerschlagung retteten. Die Stadt hatte das Gelände an einen niederländischen Investor verkauft, der einige Gebäude abreißen lassen wollte. Unter dem Motto „Komm in die Gänge“ organisierten Aktivisten und Künstler die Besetzung der maroden Häuser – mit Erfolg. Nach vier Monaten hartnäckiger Besetzung kaufte die Stadt das Viertel zurück. Seitdem ist es Bestandteil der Hamburger Kulturszene und kritischer Begleiter der Stadtpolitik. Sein pochendes Herzstück ist eine ehemalige Gürtelfabrik - die Fabrique -, wo sich über fünf Etagen verteilt Ateliers und Werkstätten, Tanzräume und Bühnen, Galerien und Partyräume befinden. Hamburg, du brauchst deinen Freiraum? Hier hast du ihn!

Das Gängeviertel  | Valentinskamp / Speckstraße / Caffamacherreihe, 20355 Hamburg | Mehr Info

5. Kulturenergie produzieren im Kraftwerk Bille

Neverland liegt in Hammerbrook, zwischen Stadtreinigung, S-Bahn-Gleisen und Fluss. Dort, in der Einöde, steht ein wuchtiges Backsteinensemble aus ineinander verschachtelten Gebäuden. Das verwinkelte Labyrinth aus alten Treppenhäusern und imposanten Hallen ist Hamburgs Sechser im Lotto. Um die Jahrhundertwende wurde das Kohlekraftwerk Bille erbaut. Heute produziert hier keiner mehr Strom– dafür knisternde Kulturenergie. Es ist der perfekte Leerraum, um Quatschköpfe und Querdenker ausflippen zu lassen: Die 14.000 Quadratmeter-Spielwiese wartet auf Gedankenblitze und Ideendonner. Jahr für Jahr füllt sich das Industriedenkmal mit mehr Leben und ungewöhnlichen Projekten. Der Verein „Viele Grüße von e.V.“ hat das Riesengebäude erobert, um es mit großen und kleinen Festivals zu füllen. Die Schaltzentrale probiert sich hier als experimentelles Stadtteilbüro. Wen wundert’s, dass da vor Begeisterung die rostigen Stahlträger wippen? Keinen, denn hier macht sich selbst der Beton vor Aufregung nackig!

Kraftwerk Bille | Bullerdeich 12-14, Anton-Ree-Weg 50, 20537 Hamburg  | Mehr Info

Zurück zur Startseite