Die Bar Rossi feiert 20-Jähriges – und mit ihr die Gentrifizierung der Schanze

© michael_schanze via Instagram

Das Böse sieht eigentlich ganz nett aus. Seine Augen sind jedenfalls fröhlich, warm, irgendwie gutmütig, also ganz und gar nicht, wie die vermeintlich Guten von nebenan häufig dachten – damals, als das vermeintlich Böse von außerhalb exakt hier verortet wurde: In der Bar Rossi.

Mit Cocktails bewaffnet zur Umrüstung der Schanze

„Ach, ich weiß schon“, Max Unverricht lächelt durch ein Lachfaltengebirge über die Theke seiner eigenen Erfindung, „viele Nachbarn kamen damals ja aus Prinzip nicht zu uns.“ Besonders dem Umfeld der Roten Flora war das Lounge-Ambiente mit dem eleganten Mobiliar anfangs ein Dorn im Auge. Was der ortsansässige Gastronom am 1. April 1998 mit zwei Partnern im alten Kurbad am Nordende des Schulterblattes eröffnet hatte, war der räudigen Schanze ringsum halt noch fremder als die edlen Cocktails auf der Karte.

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Genau 20 Jahre später zählen fancy Mixdrinks jeder Preiskategorie zwar zum festen Repertoire jeder noch so ranzigen Kaschemme und das seinerzeit recht runtergerockte Gründerzeitquartier zwischen Altonaer Straße und Pferdemarkt ist längst einer der begehrtesten Hotspots in Hamburgs aufgeblähter Immobilienblase. Die Bar Rossi allerdings blieb, abgesehen von ein paar Bildschirmen über der bestuhlten Live-Bühne, sogar vergleichsweise unverändert. Und damit nicht nur eine lebende Keimzelle dessen, was erst später mit dem neudeutschen Begriff Gentrifzierung kritisiert wurde; auch der unverwüstliche Unverricht ist immer noch da. Und das macht die Sache keinesfalls unkomplizierter.

Die gastronomische Fluktuation gleicht der des Einzelhandels

Denn am runden Geburtstag zählt der Club ebenso wie sein letztes verbliebenes Gründungsmitglied zu den Alteingesessenen im hochdynamischen Schanzenviertel. Mal mehr, mal weniger verwurzelte Läden wie der Dschungel, das BP1, ja selbst das linksalternativ noch verhasstere Bedford – dank mehrfacher Entglasung auch „Bar ohne Scheiben“ genannt – sind längst Geschichte.

Die gastronomische Fluktuation gleicht der des Einzelhandels. Explodierende Staffelmieten machen jede Neugründung selbst für Zugezogene mit großzügigem Kreditrahmen oft zum Himmelfahrtskommando. Das weinrot gedeckte Interieur der Bar Rossi aber scheint unverwüstlich zu sein – und damit längst so erhaltenswert wie jene Kiezkultur, die angeblich einst auch durch sie verdrängt wurde.

Das weinrot gedeckte Interieur der Bar Rossi aber scheint unverwüstlich zu sein – und damit längst so erhaltenswert wie jene Kiezkultur, die angeblich einst auch durch sie verdrängt wurde.

Was mal angefangen hat, nimmt schier kein Ende

Heutzutage ist es nämlich Max Unverricht, der sich ziemlich lautstark über die Entwicklung jenes Hoods beklagt, den er selbst mit prägen half – auch wenn die Gentrifizierung längst weniger noble Protagonisten hat als ihm selbst einst nachgesagt wurde. Handgezählte 28 Kioske zum Beispiel graben seiner Bar mitsamt der schicken Dachterrasse „13. Stock“ das Wasser, also Umsatz ab. Hinzu komme ein verändertes Publikum.

„Weniger Stammgäste“, präzisiert er erstmals spürbar ungehalten im Tonfall, „kaum noch richtige Barflies, die nächtelang bleiben.“ Stattdessen unstete Laufkundschaft, Reinschauer, Nichtstrinker, Schnellgeher. Sein Konzept von 1998 hat sich demnach als Bumerang erwiesen. „Damals wollten wir keine Nachbarschaftskneipe machen, sondern eine Bar für ganz Hamburg.“ Großer Dunstkreis, geringe Ortsbindung, reichlich Durchlauf – genau das waren wichtige Zutaten für die Beliebigkeit zeitgenössischer Subkulturen auf dem Weg in den Mainstream.

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Mit dem Aus geht es in die nächste Generation der Gentrifizierung

Und nun – Ironie der Geschichte – geht ausgerechnet die Bar Rossi darin baden. Ganze zwei Jahre nach der Volljährigkeit verkauft Max Unverricht sein groß gewordenes Baby. Neue Besitzer, neuer Name, neues Konzept – dass es damit auch nur annähernd so robust zugeht wie vorm 1. April 1998 ringsum üblich, ist ebenso wahrscheinlich wie die Rückkehr eines Kurbads mit medizinischer Massage im Angebot. „Vor 20 Jahren waren wir mal modern“, erinnert sich der scheidende Betreiber an die frühere Mischung aus Flohmarkt-Vintage und Longdrink-Parade für „Popper bis Punker“, so beschreibt er seine Zielgruppe.

Für die stünde nun die grundlegende Neuausrichtung an – innenarchitektonisch, atmosphärisch, strukturell. Doch mit Mitte 50 und Familie will sich Max Unverricht das nach drei Jahrzehnten Gastronomie in eigenen Läden vom 439 über die Daniela Bar bis hin zum Beachclub Central Park gegenüber der Bar Rossi „echt nicht mehr antun“. Die Revolution, so könnte man sagen, frisst auch in der gediegenen Kneipenkultur ihre Kinder. Und als früherer Revoluzzer der benachbarten Flora, dem dieses Kind ein solch großer Dorn im Auge war, dass er es erst 20 Jahre nach der Eröffnung erstmals betreten hat, muss ich sagen: Schade um die Bar Rossi. Sie gehörte trotz allem irgendwie längst dazu…

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