Warum ich nach Partys lieber nach Hause laufe statt zu fahren

"Die Lichter gehen an, die Party ist vorbei, wir packen alle unsere Jacken und fahren mit dem Taxi nach Hause, ich falle in’s Bett und schlafe ein" – müsste ich meine Heimwege in der Zeit, bevor ich nach Hamburg zog, beschreiben, sie hätten alle diesen Ablauf. In einigen Fällen würde ich Taxi durch Nachtbus, S-Bahn oder Taxi-Mama ersetzen, doch ändert das nichts an der Tatsache, dass an einem Club-Heimweg wenig Schönes zu finden war. Es war eher eine Tortur, denn in 15 Minuten Bus-, Bahn- oder Taxifahrt kann viel schiefgehen. Verschlafen, ankotzen, in Stress geraten oder endlos lange warten – die Möglichkeiten sind vielfältig, so vielfältig wie beschissen.

© Maria Kotylevskaja

Also lief ich

Dann kam ich nach Hamburg. Mit einer Zwischenstation, die Belfast hieß und der Hansestadt gar nicht so unähnlich war. Das war nach dem Abitur und dementsprechend blauäugig fand ich erst nach einer mittelheftigen Sauferei heraus, dass in Belfast ab 21:30 Uhr keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr verkehren.

Also lief ich. Zweieinhalb Stunden, in einem durchnässten Barbour-Parka vom Flohmarkt, der wie meine vom Regen quietschenden Sneakers seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Doch ich hatte einen ausreichend geladenen iPod und ein gut gefülltes Päckchen Tabak bei mir. Mit diesen beiden sehr treuen Wegbegleitern lief ich nicht zum letzten Mal durch triste Straßenzüge, die mit jeder halben Stunde in der aufgehenden Sonne freundlicher wurden. So lernte ich nicht nur Land und Leute kennen und lieben, sondern auch den Heimweg zu Fuß. Hätte ich ein Auto besessen - ich hätte es verkauft.

© Maria Kotylevskaja

Tausche Hitze gegen Hamburg

Zwei Jahre später sitze ich in einem ICE, mit zwei Koffern bepackt und fahre die Strecke Freiburg-Hamburg. Zum ersten Mal in meinem Leben. Mit in meinem Zug: eine alte Bekanntschaft, die nicht nur einen Plattenladen, sondern auch ein regelmäßiges Engagement im Pudel hat(te). Es war ein Donnerstag, und meine erste Nacht im Golden Pudel dementsprechend lang. Der Moment, in dem ich mich endlich loseisen konnte und die Treppe zum Park Fiction hochstieg, war auch der Moment, in dem mir Google Maps verriet, dass ich nach Hause laufen muss. Also lief ich. Und wie zuvor in Belfast überkam mich in dieser Morgenstunde ein Gefühl, was der Dichter wohl mit der Melancholie des dichten Jünglings beschreiben würde. Leicht wankend, einen Fuß vor den anderen, die aufgehende Sonne im Rücken.

Dann brannte der Pudel ab und mit ihm mein Ankerplatz für verschwommene Nächte und zu laute Musik. Viele der Schiffbrüchigen fanden ein trockenes Plätzchen an ähnlichen Orten. Doch mit dem Abbrennen des Pudels brannte in mir auch die Begeisterung für elektronische Musik ab.

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Make me walk my Molotow

Aus Frustration entstand eine neue Liebe, als mich das Molotow in seine von Bier und Stickern verklebten Arme schloss. Und mit ihm entstand mein neuer Weg. Endlich bedeutete Heimweg keine Überquerung der Reeperbahn mehr, die mich immer einiges an Überwindung kostete. Stattdessen schlängele ich mich durch die schönsten Gassen dieser Viertel. Vorbei an den Ladenzeilen in der Wohlwillstraße, die mich sonst zur Mittagszeit mit Kaffee oder richtigem Essen versorgen. Durch den Park am Grünen Jäger, einen Blick in die Mutter werfen und entscheiden, dass ein Abstecher dort das Ende meiner Wochenendplanung wäre.

© Maria Kotylevskaja
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Jedes Mal, wenn ich den Weg vom Nobistor in Richtung Juliusstraße laufe, werden meine Gedanken klar – egal wie viel Schnaps und sinnloses Gelalle sich noch in meinem Kopf befindet. Meinen Weg nach Hause gehe ich alleine. Andere Menschen blendet der Kopf um ab 6 Uhr morgens automatisch aus. Niemand lacht, niemand quatscht. Ich laufe meine Route und lasse mich auf das ein, was ich sehe und denke. Frische Luft vertreibt den Geruch nach Suff und Zigaretten aus meiner Nase.

© Maria Kotylevskaja

Ich unterbreche, um meinem Wegbegleiter, einer zerknautschten Schachtel Zigaretten, Feuer zu geben. Dann laufe ich weiter. Der Himmel bekommt wieder Farbe und ich bin froh, dass ich diesen Moment auf eigenen Beinen und nicht getragen von einem blassgelben Auto verbringen kann. Ich schließe die Türe auf und habe damit die Nacht hinter und das warme Bett vor mir.

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