Mehr als eine Buslinie: Mit der Wilden 13 durch Wilhelmsburg

© Alexandra Brucker

Metrobus 13, Superstar. Wilde 13 nennen die Wilhelmsburger "ihren" Bus, nach dem Kinderbuch von Michael Ende. Erst war die Wilde 13 Gegenstand einer Magisterarbeit, dann eines Buches, schließlich eines Kinofilmes, am Schluss landete sie sogar als Theater-Stück im Thalia. Auf Facebook zeigt der Bus ebenfalls Profil; mehr als 1700 Personen gefällt das. Doch die Wilde 13 hebt nicht ab, im Gegenteil. Unbeeindruckt tuckert sie Tag für Tag durch Wilhelmsburg, öffnet seufzend Türen, schluckt und spuckt ihre Fahrgäste aus. Wir haben uns fressen lassen und sind mit ihr über die Insel gedüst.

1. S-Bahn Veddel - umzingelt von Klinker-Charme und Schrott-Appeal

Haltestelle "S-Bahn Veddel". Um die Ecke: Auswanderermuseum, Goldhaus, BallinPark. Überall: Klinkerbauten aus den 20er Jahren und schrottiger Industrie-Charme. Die Veddel ist ein Dorf mitten in der Großstadt und funktioniert gerade deshalb nach ihren ureigenen Regeln. Zu Hause fühlen sich hier viele Migrant*innen – und das teilweise schon seit Jahrzehnten: Schwarzafrikaner*innen, türkische, albanische, mazedonische Familien, Portugiesen. Haltestelle "S-Bahn-Veddel". Alle warten sie geduldig, ungeduldig, treten von einem Bein aufs Andere; die Bus-Anzeigetafel zeigt an: "sofort".

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2. Im Bus – eingelullt von Moschus-Parfum und Eau de Pommes Frites 

Die Wilde 13 kommt um die Ecke geknattert. Sie macht ihre Klappe auf. Eine Menschentraube drängelt sich in den Bauch des Busses. Jeden Tag duftet es anders, einen typischen Busgeruch gibt es nicht. Heute müffelt es nach herbem Moschus-Parfum und Eau de Pommes Frites, Schweiß und Staub. Die bunte Fracht – Fahrgäste, "Hackenporsche"-Einkaufshilfen und eine Kinderwagen-Armada – sucht sich ihr Plätzchen. Alle drin? Die Reifen zischen, die Achsen keuchen. Yabba Dabba Doo. Elbinsel, wir kommen.

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3. Werkcentrum Elbinsel – wo das Spreehafen-Herz noch leise schlägt

Harburger Chaussee. Werkcentrum Elbinsel. Die Wilde 13 düst fröhlich drauf los. Rechter Hand liegt der Deichweg. Lange Zeit war für die Anwohner*innen an der Harburger Chaussee kein Durchkommen in Richtung Spreehafen. Der Zollzaun war die sichtbarste Grenze zwischen Wilhelmsburg und der Stadt.

Heute ist der Zaun Geschichte und der kilometerlange, asphaltierte Weg mit Blick über Spreehafen und City eignet sich hervorragend zum Skaten und Fahrrad fahren. Wer aus dem Bus steigt und den Deich erklimmt, wird belohnt. Hübsch zurechtgemachte Hausboote dümpeln neben Schrottschiffen vor der Hamburger Skyline. Leise, fast lautlos schlägt hier noch das historische Herz des Hafens.

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4. Im Bus - zwischen Penny-Plastiktüten und sabberndem Rottweiler

Im Inneren des Busses entfaltet Wilhelmsburg indes seine Pracht. Als Erstes ist ein sabbernder Rottweiler mit Nietenhalsband ins Fahrzeug gekrabbelt. Oder ist das ein Pitbull? Im Mittelgang lässt er sich gelangweilt auf den Boden plumpsen. Pfeilschnell besetzt eine spanischsprechende Freundes-Clique die hinteren Reihen. Genauso resolut erobern zwei 50-Jährige, mit Discounter-Plastiktüten beladen, zwei noch leer gebliebene Plätze. Vor ihnen sitzt eine junge Frau mit grüner Beanie-Mütze.

Apropos Mützen. In Puncto Kopfbedeckung gleicht die Wilde 13 einem eigenwilligen Hüte-Catwalk: Beanies, viele kleine bunte Beanies bedecken insbesondere die Köpfe junger Frauen. Dann wackelt da seit zwei Haltestellen schon eine russische Fellmütze vor dem Rottweiler-Besitzer herum.

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5. Stübenplatz - auf dem Basar feilschen im Reiherstiegviertel

Die Wilde 13 flitzt weiter. Werkcentrum Elbinsel. Vogelhüttendeich. Stübenplatz. Jetzt futtert sich der Bus so richtig in den Wilhelmsburger Bauch, mitten hinein ins Reiherstiegviertel. Frühmorgens stehen hier Männer in Handwerkerkleidung; die Tagelöhner hoffen auf dem sogenannten "Arbeitsstrich" auf Aufträge.

Zweimal pro Woche ist auf dem Stübenplatz Markt. Der Basar aus Textilien, Flohmarktartikeln und Lebensmitteln bildet das Herzstück des Viertels. Die Menschen strömen aus dem Bus hinaus zu den Einkaufsständen und mit ihren Waren wieder zurück. In den Seitenstraßen paradieren verschnörkelte Gründerzeitbauten in blau, rot, gelb. In den letzten Jahren sind viele Studierende und junge Leute aus anderen Hamburger Stadtteilen hergezogen, neue Cafés haben aufgemacht, der Hype ist groß. Die Beanie-Mützen-Frau steigt aus.

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6. Veringstraße – sitzen, quatschen, trinken am Kiosk 13

Mannesallee. Veringstraße. Direkt an der Strecke des Metrobusses 13 liegt der Kiosk 13. Weil die Haltestelle "Veringstraße" kein eigenes Bushäuschen besitzt, nehmen die auf den Bus wartenden Menschen gerne auf den beiden Zeitungskisten vor dem Kiosk Platz. Hier sitzen sie, trinken sie, quatschen durch die geöffneten Türen mit dem der oder Busfahrer*in.

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7. Im Bus – zwischen giggelnden Teenies und Jamba-Klingelton

Geräusche und Gequatsche von außen werden sowieso gerne mit ins Businnere genommen. Zwei Schluffis debattieren im Stehen über den Sinn und Unsinn von Trends. Kindertrauben knäulen sich mit Schulranzen und Bastelprojekten um die knallgelben Haltestangen, Teenies giggeln um die Wette und ihre pubertäre Würde. Ein Handy mit altmodischer Melodie dödelt irgendwo im Gewusel auf. Die hintere Bus-Fraktion bespricht inzwischen lauthals ihre Wochenendpläne. Nicht minder dynamisch, quaken die zwei 50-Jährigen über ihre Arbeitsstunden. Drei Tage die Woche, das ist zwar schön, aber Gabi möchte gerne aufstocken. Da gibt ihr Brigitte Recht.

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8. Veringstraße – Kaffee trinken mit Aussicht auf dem Energiebunker

Auf der Route der Linie 13 liegen gleich mehrere Projekte der Internationalen Bauaustellung (IBA). Zum Beispiel der "Energiebunker" an der Neuhöfer Straße. Jahrzehntelang war der ehemalige Weltkriegsbunker baufällig. 2013 wurde er saniert und für die ökologische Energieversorgung umgebaut.

Die Dachterrasse des Bunkers ist öffentlich zugänglich und lockt mit einem tollen Ausblick über Stadt und Hafen. Wer sich von dieser Aussicht nicht sofort loseisen möchte, kann im Café Vju ein Käffchen trinken. Diesen Herbst haben zwei Graffiti-Künstler*innen den Bunker in 3D-Optik bemalt. An der Nordfassade haben sie die Aussicht und das Innenleben des Gebäudes abgebildet.

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9. Inselpark – direkt in die "Neue Mitte" hereinspazieren

Krankenhaus Groß-Sand. Rotenhäuser Straße. Mengestraße. Die Raupe Nimmersatt frisst sich weiter durchs Viertel. Rathaus Wilhelmsburg. Dratelnstraße. Inselpark. Es geht direkt rein in die "Neue Mitte Wilhelmsburg". IBA und die Internationale Gartenschau haben den Stadtteil 2013 tiefgreifend verändert.

Was blieb, war der Inselpark mit seinen etlichen Möglichkeiten, dem Sport zu frönen – auf einer beleuchteten Laufstrecke, im Hochseilgarten, in der Kletterhalle, auf den Beachfeldern oder in der Skate-Arena. Architektur-Liebhaber*innen können wiederum in der Neuen Mitte Gebäude-Sightseeing betreiben. Zum Beispiel vor der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Deren rund 200 Meter langer, kunterbunter Komplex wird auch "Colorado-Haus" genannt und steht auf Energiepfählen.

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10. Im Bus – zwischen Fensterplatz-Tagträumern und Rückwärts-Quasslern

Neben den Alleinunterhalter*innen und den Menschen, die selbst beim Rückwärtsfahren noch ununterbrochen quasseln können, gibt es in der Wilden 13 natürlich auch die schweigsamen Kandidaten. Zum Beispiel den Romanleser, der stumm neben dem Ipod-Hörer sitzt. Daneben starrt ein Anzugträger mit Krawatte auf sein Smartphone. Vereinzelte ältere Damen mit Handtaschen träumen sich aus dem Fenster ins Grüne.

Für sie gibt es jetzt gleich viel zu genießen. Langsam sieht es nämlich ländlich aus. Neuenfelder Straße. Kirchdorfer Straße. Es geht weiter, immer weiter hinein. Wie der menschliche Herzschlag pumpt der Metrobus 13 seine Passagiere durch Wilhelmsburg. Die Elbinsel ist eine Mischung aus Großstadt-Dschungel und Dorfidyll. Auf der einen Seite weiden Schafe auf Deichen, auf der anderen Seite strecken sich Gebäude in die Höhe und kratzen an den Wolken.

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11. Kirchdorf-Süd – dreizehn Stockwerke, Dutzende Nationalitäten, eine Adresse 

Karl-Arnold-Ring. Kirchdorf-Süd. Einer dieser Orte, an dem am Himmel gekratzt wird, ist Kirchdorf-Süd. End-Station. Im wahrsten Sinne? In der Theorie steht hier ein Traum. Der sozialdemokratische Traum der 60er Jahre vom gemeinschaftlichen, verdichteten Wohnen. Ziemlich hoch geraten ist dieser Traum: dreizehn Stockwerke, Dutzende Nationalitäten, eine Adresse: 21109 Kirchdorf-Süd.

Knapp 6000 Wilhelmsburger*innen leben in den Wohnsilos der Trabantenstadt, verteilt auf mehr als 2000 Wohnungen. Rund 60 Prozent von ihnen haben nach Schätzungen einen Migrationshintergrund. Dabei war Kirchdorf-Süd eigentlich nie explizit als Migrantensiedlung angelegt. Aber günstige und geförderte Wohnungen ziehen eben auch Menschen an, die neu nach Deutschland kommen.

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In den 80ern holte das Negativ-Image die Wohn-Utopie ein. Die Probleme sprossen wie Gänseblümchen aus dem Boden. Eines hatten die Städteplaner vollkommen außer Acht gelassen: den sozialen Anschluss. Die Klischees von damals sind heute noch präsent, die Meinungen über Kirchdorf-Süd inzwischen geteilt.

Denn es hat sich viel getan: Die Häuser wurden ansprechender gestaltet. Pförtnerlogen kamen hinzu, ebenso ein Kinderbauernhof, Spielplätze, Freizeitangebote und Deutschkurse. Die meisten Menschen trauen sich trotzdem nicht so nah ran. Die Wilde 13 schon. Quietschend wirft sie sich in die Kurve. Es geht in die zweite Runde. Wollt ihr einmal quer durch Wilhelmsburg? Rein mit euch!

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