Glaube, Liebe, Hamburg: Next Level Flirting

Segel Setzen #17

Und plötzlich war sie da, die bittere Erkenntnis: Immer, wenn man mit einer Stadt abgeschlossen hat, kommt jemand und schließt sie wieder auf. In diesem Fall hatte er schon alle Kartons gepackt, die Pflanzen verschenkt und den Job in der neuen Stadt gesaved. Und dann, an einem der letzten Abende, liefen sie sich über den Weg. In einer befreundeten WG. Der Abend lau, die Stimmung auch, aber die Begegnung sollte etwas länger Eindruck hinterlassen. Sie befreundeten sich bei Facebook, wie man das eben so macht, Lara stalkt Deniz, Deniz stalkt Lara, sie nimmt sich ein Herz und verschickt die Anfrage, weil kann ja sein, dass das andere Profil zufälligerweise gerade vorgeschlagen wurde. Lara und Deniz sind jetzt (Facebook-)Freunde.

Selfies, Lebenskrisen und blaue Häkchen

Als er bereits seit einer Woche die Stadt verlassen hatte, kam die Nachricht. Und dann der Wechsel zu Whatsapp. Und dann folgten lange Unterhaltungen über Beziehungen, die Familie, die Jobsituation und gemeinsame Pläne, sich zu treffen. Ein Gutenacht-Selfie vorm Schlafengehen von ihr und eins mit Snapchat-Hundefilter vorm Feierngehen von ihm.

Und als all das nicht mehr ausreichte, gingen sie gemeinsam den nächsten Schritt, der sich anfühlte wie längst überfällig und viel zu nah zugleich: “Hast du Lust, mal zu skypen?”

Der Habitus, sich online oder offline kennenzulernen und die gemeinsame Kommunikation erstmal aufs Schriftliche zu verlagern, verwundert nicht - bei unseren Lebensläufen. Der interessantere Mensch wohnt eben immer in der anderen Stadt. Und wer in seinem Alltag so eingebunden ist wie wir und stets versucht, den Job, die Freunde, den Sport und den kreativen Ausgleich wie Bälle in der Luft zu halten, der kann eben nicht noch eine Liebschaft integrieren, ohne dass einer dieser Bälle droht, auf den Boden zu fallen. Es ließe sich in Kauf nehmen - aber wer will das schon. Viel bequemer ist es, sich auf diese Liebschaft zurückzuziehen, wenn tatsächlich zwischendurch mal Zeit ist. Der Kaffee läuft durch den Filter. Die U-Bahn hat Verspätung. Das Meeting dauert schon wieder länger als gedacht.

Ein Mensch am anderen Ende des Landes, der in Gedanken und online bei mir ist und auf mich aufpasst.

Doch das auf die Bequemlichkeit zu reduzieren, wäre zu kurz gedacht. In fordernden Zeiten ist das “online” bei Whatsapp ein Ruhepol und gleichzeitig das Versprechen, dass da jemand ist, dem ich gerade mein Herz ausschütten kann. Mit Themen, die ich nicht Samstagnacht in der Kleinraumdisko aus der Tasche hole. Weil sie zu klein und im großen Kontext unbedeutend sind, aber in dem Moment die Welt bedeuten, wenn ich sie teilen kann. Die andere Person verurteilt nicht, sie freut sich, mich besser kennenzulernen und schickt mir emotionalen support aus 350 Kilometern Entfernung. So wird Whatsapp zum Rückzugsort, den ich irgendwann sogar nutze, wenn die Gefahr besteht, dass einfach alle Bälle auf den Boden fallen. Eine App als Gegenstand der emotionalen Abhängigkeit? Ich sehe das nicht so kulturpessimistisch und sage: Ein Mensch am anderen Ende des Landes, der in Gedanken und online bei mir ist und auf mich aufpasst.

Skype als das ultimative Commitment

Wer über den Punkt hinausgekommen ist, den netten kleinen Flirt mit den süßen Bildchen in der Whatsapp-Unterhaltung als Zeitvertreib während der Ofenkäse aufheizt zu sehen, der wagt sich womöglich sogar in Sphären vor, die uns schreibverwöhnten Millennials erst einmal gruselig erscheinen (weil: Stimme!!). Erster Schritt: Sprachnachricht. Morgens beim Frühstück seine Nachricht podcast-like hören, mittags beim Bäcker ihm eine Nachricht draufsprechen, abends seine Antwort beim Zähneputzen hören. “Hey du, ich dachte ich antworte dir mal, ich bin grade auf dem Weg zu nem Kumpel. Also das was du von der Arbeit erzählst, erinnert mich totaaal an das, was einer Freundin passiert ist…” - you know how it is.

Und während die Sprachnachrichten immer noch in die Kategorie “Das TV on demand der interpersonellen Kommunikation” fallen, weil keine zeitlichen Absprachen und ignorieren immer noch möglich, zieht mit steigender Sehnsucht auch das Commitment in den Blumentopf ein, in dem das zarte Pflänzchen Zwischenmenschlichkeit wächst.

“Sag mal wie wärs, wenn wir mal skypen würden…?”, ein Satz wie die Frage nach dem ersten Date. Und ein Satz der der Enttäuschung Tür und Tor öffnet. Aber wer sich heutzutage committet, der lässt sich ein auf die Verabredung mit dem irgendwie-plötzlich-doch-fremden Menschen, der in seinem Zimmer sitzt und ganz sicher den eigenen Ansprüchen nicht genügen kann, die sich in den letzten Tagen oder Wochen aufgebaut haben, durch die Schlagfertigkeit und die vorteilhaften Selfies.

Läuft das Skypen und ist man tatsächlich bereit, sich auf diese lineare Form der Kommunikation einzulassen, kann der radikale Schritt eines Treffens mit gutem Gewissen getan werden. Ein erstes, richtiges Date, vor dem ich so viel mehr von der anderen Person weiß, als ich es in anderen Fällen tun würde. Nach einer nächtlichen Whatsapp-Konversation habe ich möglicherweise mehr gute und furchtbare Seiten des anderen gesehen, als ich es nach drei Wochen Beziehung tun würde.

Hat ja keiner was zu verlieren. Also - theoretisch.

Ist diese Art des Kennenlernens also die ehrlichere Art? Es ist zumindest die Art, bei der wir uns vorher abklopfen können, Sehnsucht erzeugen und uns maximal wohlwollend zeigen. Niemand möchte sich ernsthaft so kennenlernen, denn der pain, in verschiedenen Städten zu wohnen, ist viel zu real. Aber haben wir keine Wahl, so führt das vielleicht dazu, vorab schon Grenzen zu setzen, mehr bei sich und den eigenen Ansichten und Macken zu bleiben. Hat ja keiner was zu verlieren. Außer sein Herz. Zur Not sieht man sich nie wieder, schreibt man sich nie wieder, der Whatsapp-Chat rutscht Woche um Woche weiter nach unten und sticht immer weniger ins Herz.

Lara und Deniz haben dann übrigens geskypt. Und Deniz hat ein Fernbusticket gekauft, Berlin Alexanderplatz - Hamburg ZOB. Ist ja auch gar nicht so teuer und alle zwei Wochen könnte man das schon machen.

Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.

Zurück zur Startseite