Warum Weihnachtsmärkte der Vorhof zur Hölle sind

© Frank Behrens | Flickr

Das Weihnachtsfest ist der letzte Schmelztiegel der Großraumbüros, beruflichen Endstationen und anderen Arbeitsbereichen, in denen soziale Verhältnisse wie zu Zeiten des Kalten Krieges herrschen.

Ähnlich verhält es sich mit dem feuchtfröhlichen Vorspiel, Weihnachtsmarkt genannt. Während man sich unterm Jahr gesundheitsgefährdende Furzkissen unter den Stuhl schiebt, den Kollegen bei der Kippenpause nett anlächelt, im hinterrücks aber völlige Inkompetenz unterstellt, schafft der Weihnachtsmarkt die Möglichkeit, das alles vergessen zu machen - solange der Glühweinvorrat reicht.

Doch was macht den Weihnachtsmarkt zur Hüpfburg für nine to five-Suffis? Um das zu erklären, bedarf es einer höchst scharfsinnigen Analyse die hier beispielhaft dargestellt wird. Das nun folgende Beispiel sozialen Unvermögens lässt sich freilich auch auf Freundeskreise, Klassentreffen und Familienzusammenkünfte anwenden, die jährlich auf einschlägigen Weihnachtsmärkten stattfinden.

Wir sollten sowas öfter machen

Den Startschuss zum Abschuss gibt jedes Jahr der Leiter der faulsten Abteilung des Betriebs. Seine Mail mit dem Betreff “!Mal wieder zusammen Anstoßen!” (sic!) wird von den dauerverkaterten Mitarbeitern mit einem “Ach das war ja letztes Jahr schon superlustig, freue mich!” beantwortet. An seine Kollegen schickt er eine Verteilernachricht mit dem Betreff “Wer kotzt dieses Jahr als erstes?” Im Anhang befindet sich eine Gif-Datei, in der ein besoffener Weihnachtsmann hackedicht gegen ein Auto fällt.

Ausgestattet mit einem Bündel gelber Scheine, dem eigentlich ausgemusterten Mantel (Jürgen, zieh ja nicht den Guten an!), einer atmungsaktiven grauen Schlauchmütze und braunen Lederstiefeln marschiert die Belegschaft von OG2 gesammelt auf den Weihnachtsmarkt. Schon beim Bestellen des ersten warmen Zuckerwassers fallen die ersten anstößigen (besser: sexistischen) Sprüche, in denen die Sekretärin des Chefs unfreiwillig und in Abwesenheit die Hauptrolle einnimmt.

Nachdem die erste Runde vernichtet und die zweite bestellt ist (“Olli, jetzt bist du dran, hol mal 20 neue”) beginnt der selbsternannte Bürokasper mit seiner “Show”. Schallendes aber ebenso künstliches Gelächter sorgt für zunehmende Verwirrung bei den umstehenden Weihnachtsmarktbesuchern, die vorsichtig fragen, wo denn der Hut sei, in den man hier Geld werfen könnte (damit er endlich aufhört).

Manni, wo hast du denn die geile Nikolausmütze her?

Die Hälfte der Belegschaft von OG2 lallt bereits, weil Olli die Reißleine gezogen und 20 Mal mit Schuss bestellt hat (“Mach ordentlich was rein”). Da kommt Inka aus der Personalabteilung auf die glorreiche Idee, sich eine blinkende Rentier-Kopfbedeckung für 15.98 Euro zu kaufen. Wenige Momente später haben die Kolleginnen und Kollegen neben den knallroten Nasen auch knallrote Kopfbedeckungen auf. Endlich wieder genug Stoff für Gespräche und Selfies “Hahaha, hast du Rolf gesehen, der hat sich eine rosa leuchtende Christkind-Krone gekauft.”

Nach einer Stunde auf dem Weihnachtsmarkt kommt es zum ersten Showdown: Rudi und Ann-Kathrin machen ihre Liebe öffentlich (eigentlich weiß es eh schon jeder) - das findet Matze aus der Grafik nicht lustig. Schließlich war er es, der ihr heimlich rote Fleurop-Rosen an den Schreibtisch hat schicken lassen. In seiner Wut wirft er eine halb angenagte Bratwurst (mit Senf) in Richtung des knutschenden Pärchens und wird wenige Minuten später von den Kollegen in ein Taxi gestopft mit den Worten “Schlaf ne Runde, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus”.

Vorsicht, der Chef ist da

Obwohl nach fünf Tassen Glühwein die Welt wie ein geiles (wahrsten Sinne des Wortes) Winterwonderland aus Lebkuchen wirkt, geht ein gelalltes Raunen durch die Belegschaft OG2: “Der Chef ist da”. Wer kann, steht stramm, lautet jetzt das Motto, für 15 Minuten, denn dann ist der Chef mit seinen drei Lieblingsmitarbeitern (und besten Freunden seit der Ausbildung) unter dem Premiumheizpilz in Rufweite des Glühweinstandes verschwunden. Man bekommt ihn erst wieder zu Gesicht, wenn er nach Glühwein Nummer Sechs (den weißen Glühwein, man achtet auf die Linie) auf die Pirsch nach den (weiblichen) Kolleginnen, die er aus der Raucherpause (einziger Kontakt zum Fußvolk) “kennt”.

Der Rest von Abteilung OG2 wankt und schiebt sich währenddessen aus der Hörweite des Chefs, über den man ja die vergangenen zwei Stunden abgelästert hat. Es entsteht dabei eine Dynamik, wie man sie ansonsten nur aus Mekka kennt (Und das auf einem deutschen Weihnachtsmarkt, DANKE MERKEL!!2211!). Mit dem Unterschied, dass lautes Fluchen (Christina, kannst du bitte endlich deinen Ellenbogen aus meinem Rücken nehmen) und ein im Chor geschmettertes “Lascht Chrismes Ei Geif You My Hart” die Gebete ersetzen.

Jürgen, es reicht jetzt

Das Ende dieses Oktoberfestes der Gefühle wird eingeläutet, wenn zeitgleich mehrere Handys der männlichen Ü-40-Fraktion klingeln und die daheimgebliebene Frau (Wer passt dann auf die Kinder auf?) daran erinnert, dass “irgendwann auch mal Schluss sein muss”. Leider löst das in den Betroffenen den Wettkampfgedanken aus, in der ausgehandelten letzten Viertelstunde das Fass doch noch leer zu saufen (“Ach komm, einer geht noch”).

Aufbruchsstimmung macht sich breit. Breit ist auch die Abteilung “Öffentliches”, da der Praktikant beim heimlichen Hasch-Gang um die Ecke von den Kollegen erwischt wurde, die dann doch auch mal dran ziehen (“Früher, da war das Zeug noch nicht so hochgezüchtet”). Während Frauke aus der Buchhaltung die überall verstreuten Glühweinbecher (2 EURO PFAND!!!!) einsammelt (verschenkt wird hier nichts) ordert der Geschäftsführer für sich und drei weitere (koksaffinen) Auserwählte ein Taxi Richtung Kiez.

Als der letzte Rest Abteilung OG2 sich vom Rathausplatz gekratzt hat, atmet Matthias (schwul) erleichtert auf und sagt zu Saskia (lesbisch): “Ach, ich liebe den Weihnachtsmarkt, jetzt haben sie wieder drei Wochen lang ein Thema über das sie sich das Maul zerreißen können”. Die beiden gehen noch ein Bier trinken. Endlich normale Leute.

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