Kleine, geile, Firmen: Bordsteinschwalbe

© Maria Kotylevskaja

Es knattert, es stinkt - eine Mischung aus Öl und Abgasen liegt in der Luft. Seit circa 50 Jahren fährt die Simson Schwalbe um die Welt, der Roller ist heute begehrter denn je. Aus diesem Grund hat Sebastian sich überlegt, die „Bordsteinschwalbe“ zu gründen. Hier vermietet er original Schwalben aus der ersten Modellreihe von 1964 an Nostalgiker. Sebastian erzählt von seiner Leidenschaft und warum Schwalbenfahrer noch heute von einem Ost-Gesetz profitieren.

Hi Sebastian! Erzähl doch mal, wie sich die Idee der „Bordsteinschwalbe“ entwickelt hat?

Also, das ging recht langsam. Ich war schon immer auf der Suche nach einer eigenen Sache, die ich umsetzen kann. Meine Freundin hat damals in Berlin gewohnt und ich bin Motorrad gefahren. Sie hatte vor einen Motorradführerschein zu machen und ich habe ihr daraufhin gesagt, dass sie doch erst mal klein anfangen solle – mit einem Moped. So wie ich das auch gemacht habe – damals. Wir haben uns für Berlin 2012 dann eine kleine Schwalbe gekauft und sind durch die Hauptstadt gefahren. Da bin ich wieder auf den Geschmack gekommen.

Du sagst, dass du wieder auf den Geschmack gekommen bist, das heißt, du warst schon mal Schwalben-Fan?

Genau. Ich bin mein ganzes Leben lang verschiedenste Motorräder gefahren - Sommer wie Winter - und hab mir dann für Hamburg eine Schwalbe gekauft und mich wieder darin verliebt. Ich bin drei Jahre nur Schwalbe gefahren und die Idee für die Bordsteinschwalbe folgte dann hier in der Hansestadt. Ich wurde ständig auf meine originale Schwalbe angesprochen und von Touristen fotografiert. Irgendwann kam dann die "Erleuchtung". Ich dachte mir, dass die Leute sicher auch Bock haben, so ein Teil selber zu fahren. Das war die Geburt der Bordsteinschwalbe.

Und warum hast du dich für die Schwalbe entschieden? Du hättest mit einer Vespa ja vom Ding her einen ähnlichen Nostalgie-Faktor, oder?

Ja, stimmt. Aber mit der Schwalbe bin ich groß geworden.  Ich bin in Sachsen aufgewachsen, da an der Tschechisch-Polnischen-Grenze, direkt im Drei-Länder-Eck und seit ich neun bin, bin ich diese Mopeds gefahren.

Du Rebell.

Ja, so ganz klassisch auf dem Hühnerhof beim Opa hab ich das Moped fahren gelernt. Bis ich 16 war. Dann bin ich aufs Motorrad umgesattelt bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mir in Hamburg dann wieder die Schwalbe gekauft habe.

Für wen hast du die Bordsteinschwalbe gegründet? Wen möchtest du damit ansprechen?

Im Prinzip habe ich kein spezielles Publikum, keinen Avatar, aber es müssen schon Leute sein, die es zu schätzen wissen. Ich schau mir die Kunden ganz genau an und ich kann ja auch „Nein“ sagen. Wenn ich denke, sie seien nicht fähig eine alte Schwalbe zu schätzen und in dieser inflationären Gesellschaft denken, dass das eine Sache ist, die man im nächsten Kaufhaus wieder kaufen kann, dann sind sie bei mir an der falschen Adresse. Jeder Kunde bekommt eine ganz genaue Einweisung und während dieser Einweisung mach ich auch immer wieder klar, dass das wirklich etwas Nostalgisches und Wertvolles ist, was es so nicht nochmal einfach zu bekommen gibt.

Deswegen siehst du sicher auch so was wie Janoo nicht als Konkurrenz, oder?

Nein, also die Idee finde ich gut. Das ist jetzt keine direkte Konkurrenz für mich, weil Janoo ist ja Carsharing - nur eben auf zwei Rädern und da geht es darum von A nach B zu kommen. Was ich verkaufe ist ein Erlebnis. Es geht um Abenteuer und Fahrerlebnis. Auch, wenn das gleiche Modelle sind, fährt sich trotzdem jede anders und man muss damit arbeiten. Das ist nicht einfach raufsetzen, Schlüssel rumdrehen und losfahren, sondern ein bisschen Arbeit. Wenn jemand eine Maschine bei mir mieten möchte, dann bring ich ihm oder ihr im Prinzip das Fahren bei. Auch wenn meine Kunden dann schon mal einen modernen Roller gefahren sind, heißt das nicht, dass sie mit einer Schwalbe umgehen können. Diese Einweisung dauert von 30 Minuten bis zu einer Stunde, je nachdem wie vorerfahren derjenige ist. Und wenn ich denke, dass der Kunde bereit ist für die große Straße, lasse ich ihn ziehen.

Wie genau sieht denn deine Schwalben-Palette aus. Was für Modelle hast du und wie viele?

Also ich habe ausschließlich Fahrzeuge aus der ersten Modellreihe. Die wurden nur von 1964 bis 1968 gebaut. Das ist sozusagen das Urmodell. Was ich besonders attraktiv an denen finde, sind verschiedene Merkmale. Bei den späteren Modellen wurde viel Plastik verbaut, bei meinen Maschinen gibt es kein Plastik sondern noch Aluminium.

Wenn du neue Schwalben dazukaufst, wo suchst du die?

Das ist natürlich schwierig. Ich bin da sehr anspruchsvoll und lege großen Wert auf Originalität. Also es darf da nichts verbastelt dran sein. Die Maschine muss wirklich so sein, wie sie damals vom Band gekommen ist. Ich verändere da auch nichts dran – das einzige ist die Zündung und der Vergaser, damit das für die Kunden zuverlässiger läuft und sie nicht irgendwo stehen bleiben. Die ältere Zündung ist nämlich mechanisch und die neue, elektronische, ist einfach zuverlässiger.

Zurück zur Frage. Wie gesagt, ist schwierig. Ich gucke in ganz Deutschland. Natürlich finde ich die meisten Maschinen eher in Ostdeutschland und meistens übers Internet. Von zwei alten Herren, die selber noch in dem Simson Werk gearbeitet haben, hab ich zwei restaurierte Maschinen. Die sind super. Da kann ich sicher sein, dass die Maschinen genau in dem Zustand restauriert wurden, wie sie damals vom Band gelaufen sind, Was ich auch suche, sind Originalmaschinen, also die nicht restauriert sind, in einem guten, originalen Erhaltungszustand. Die finde ich persönlich noch schöner. Die erzählen Geschichte. Da ist der Lack ein bisschen stumpf und hier und da hast du mal einen Kratzer aber das ist alles irgendwie gleichmäßig abgenutzt und hat für mich einen höheren Reiz als eine Bling-Bling-restaurierte Maschine.

Wobei deine ja nun alle sehr gut aussehen und blitzen.

Ja, das stimmt. Trotzdem mag ich dieses verlebte auch ein bisschen. Der Kunde hat das saubere natürlich lieber. Ist ja auch optisch ansprechender.

Hast du an den Maschinen schon selbst auch mal rumgeschraubt?

Ich versuche sie schon restauriert zu kaufen. Ich verändere da noch kleine Sachen, wenn ich denke „Ok, das passt da jetzt nicht ran oder ist nicht original“, dann mach ich da auch selber noch was dran. Es ist natürlich auch zeitlich bedingt, dass ich größere Sachen nicht selber machen kann und eher anderen überlasse. Aber kleine Wartungsarbeiten, wie Leuchtmittel wechseln, die Bremse nachstellen und so weiter mach ich auf jeden Fall. Ich kann eigentlich auch alles. Ich habe die Maschinen schon bis auf die letzte Schraube auseinander genommen, weil ich eben seit der Kindheit damit zu habe.

Wie läuft so ein Mietprozess ab?

Man meldet sich bei mir via Telefon am Besten zwei oder drei Tage vorher. Ich frage dann wie viele Maschinen benötigt werden und wir klären die Rahmendaten. Wir machen dann einen Treffpunkt aus, was meistens die Marktstraße ist, in einem Café oder egal wo. Ich brauche auf jeden Fall den Führerschein, den Ausweis, die Kaution und die Miete. Die Kunden bekommen einen Mietvertrag vorgelegt, die Fahrzeugpapiere und die Schlüssel. Es folgt besagte Einweisung und dann geht’s los.

Was kostet denn der Fahrspaß?

Das ist abhängig von der Anzahl der gemieteten Maschinen. Eine Maschine wäre die teuerste Option mit 89 Euro pro Tag inklusive Sprit, Helm und einer Haftpflichtversicherung. Momentan laufen vier Maschinen, die ich vermieten kann und wenn man nun alle vier auf einmal mieten möchte, ist das die günstigste Variante mit 69 Euro pro Maschine am Tag. Das Ziel ist es, zwölf Maschinen am Start zu haben. Ich besitze zehn, wovon aber eben sechs in Arbeit sind.

Und wie schnell könnte man mit einer deiner Schwalben fahren?

Die sind mit 60 km/h zugelassen. Eigentlich darf man nur bis 50 fahren mit dem Moped-Führerschein, aber meine Schwalben stehen unter Bestandsschutz. Das DDR-Gesetz wurde im Zwei-plus-Vier-Vertrag 1991 mit übernommen und deswegen wurden die DDR-Gesetze teilweise mit in die BRD übernommen. Nach DDR-Recht waren Kleinkrafträder auf 60 km/h begrenzt, entsprechend der Übergangsregelung gilt dieses Recht weiterhin für Fahrzeuge, die bis zum 28. Februar 1992 erstmals in Verkehr gekommen sind.

Wie bewegst du dich fort? Immer auf der Schwalbe?

Acht oder neun Jahre bin ich nur mit der Schwalbe unterwegs gewesen. 8.000 bis 9.000 Kilometer bin ich damit im Jahr gefahren. Viel nach Berlin oder zu Festivals, wie der Fusion. So was dann aber mit Anhänger. Naja und in meiner Kindheit ja sowieso. Heute habe ich auch ein Auto.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Also der Plan für die Zukunft sind Touren. Ich mag es ein bisschen extrem. Vielleicht mal nach Oslo fahren oder so. Aber auch kleinere Sachen, wie Stadtführungen, ins Alte Land oder zum Museumsdorf fahren. Ich würde diese Touren dann führen und etwas Sightseeing der besonderen Art anbieten. Dann wünsche ich mir natürlich die zwölf laufenden Maschinen – gerne aber auch mehr. Ich überlege auch noch andere Modelle aus der Simson Vogel-Serie mitaufzunehmen, neben der Schwalbe und dem einen Starr, den ich habe. Da gibt es ja noch die Modelle Habicht, Sperber und Spatz. Wir werden sehen.

© Maria Kotylevskaja

Vielen Dank für das tolle Gespräch, Sebastian!

Gerne. Jetzt musst du natürlich noch eine Proberunde fahren!

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